Wirtschaft

Wenn der Wachstumsschub kommt "Bundesanleihen könnten kräftig verlieren"

Wenn das Wachstum in der Eurozone bis auf 2,0 oder 2,5 Prozent hochläuft, könnte das für Bundesanleihen bedeuten, dass sie dann keine 0,5 Prozent, sondern über zwei Prozent Rendite haben.

Wenn das Wachstum in der Eurozone bis auf 2,0 oder 2,5 Prozent hochläuft, könnte das für Bundesanleihen bedeuten, dass sie dann keine 0,5 Prozent, sondern über zwei Prozent Rendite haben.

(Foto: picture alliance / dpa)

Warum schenken Anleger Deutschland Geld? Was hat Deutschland mit Japan gemein? Und was bewirken Ölpreis und EZB? Norbert Hagen, Rentenmarktexperte und Vorstand der Vermögensverwaltung ICM, erklärt den Anleihemarkt. Und warum es mit Geldgeschenken bald vorbei sein könnte.

n-tv.de: Deutschland scheint im Moment immun gegen alles: Ob Ölpreisverfall, Russland-Krise, Grexit-Debatte, die Bundesrepublik steht wieder als "Krisengewinnler" da. Warum schmeißen die Anleger Deutschland das Geld regelrecht hinterher?

Norbert Hagen: Es ist vor allem die prekäre Situation in Griechenland vor der Wahl. Umfragen tendieren nach links. Was passiert, wenn Griechenland aus dem Euro rausfällt? Wir sehen einen typischen Risk-off-Trade. Die Anleger scheuen das Risiko und suchen sichere Häfen. Bundesanleihen gelten im Euroraum als sicher. Da akzeptieren Anleger auch, dass sie im Jahr fünf Basispunkte oder in Prozent ausgedrückt 0,05 Prozent an Wert verlieren, also einen negativen Zins erhalten. Größere Verluste sind dafür aber praktisch unmöglich.

Alle Bundesanleihen bis zu einer Laufzeit von 5 Jahren rentieren mittlerweile bei null oder sogar negativ. Das heißt, der Anleger leiht Wolfgang Schäuble 100 Euro und bekommt nach ein bis fünf Jahren nur noch 99 Euro und ein paar Cent zurück. Erst ab mehr als fünf Jahren Laufzeit gibt es nominal wieder eine Mikrorendite. Das grenzt doch an Geldvernichtung?

Um eine nominale Geldvernichtung handelt es sich auf jeden Fall - wahrscheinlich auch um eine reale, also unter Einbeziehung der Geldentwertung. Wir wissen allerdings nicht, wie sich die Inflationsraten in den nächsten Jahren entwickeln. Die Anleger sind in jedem Fall bereit, für Sicherheit zu zahlen. Das muss nicht verkehrt sein. Nehmen Sie eine Allianz-Aktie. Die notiert seit Jahresanfang im Minus. So gesehen sind Anleihen gar nicht so schlecht.

Im vergangenen Jahr sind deutsche Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit mehr als doppelt so stark gestiegen wie der Dax. Warum?

Die Geschichte dahinter ist das fehlende Wirtschaftswachstum mit den rückläufigen Inflationsraten. Anleger sind wie EZB-Chef Draghi zum Schluss gekommen, Staatsanleihen - beispielsweise mit zehnjähriger Restlaufzeit - zu kaufen, sei das Beste, was man tun könne. Seit 2009 leben wir in einer strukturell deflationären Welt: Die öffentliche Hand in Europa gibt weniger Geld aus. Die Folge ist ein geringeres Wirtschaftswachstum. Das ist ein günstiger Nährboden für niedrigere Zinsen. Der Refinanzierungsbedarf wiederum ist deshalb geringer, also fragt sie weniger Geld am Anleihemarkt nach. Wenn es an der Nachfrage nach Geld mangelt, sinken die Preise - nichts anderes sind Zinsen. Gleichzeitig halten sich die Unternehmen mit Investitionen zurück, da die erwirtschafteten Renditen nur sehr niedrig ausfallen. In der Konsequenz daraus gibt es wenig Wachstum, weil die Investitionsgüternachfrage fehlt.

Ein insgesamt schwaches Wirtschaftswachstum, extrem niedrige Zinsen und ein drohendes Deflationsszenario - die Eurozone erinnert an das Japan der 90er Jahre. Wie können Anleger da noch Rendite erwirtschaften?

Entscheidend ist die Risikobereitschaft. Der Otto-Normalverbraucher hat Lebensversicherungen und Renten. Eine Versicherung erzielt aber eine vernünftige Rendite nur noch, wenn sie sich in risikoreichen Anlagen engagiert. Wir bewegen uns in einem Szenario, das viel schwieriger ist als das in Japan in den 90er Jahren. Die Japaner hatten damals zwar eine vergleichbare Situation. Aber Nippon konnte mit Hilfe der Notenbank das Geld von den Versicherungen in US-Dollar anlegen, also in amerikanische Staatsanleihen, die deutlich höher rentierten als japanische. Die Bank of Japan hat dafür gesorgt, dass die Mehrrendite nicht durch einen Währungsverlust aufgefressen wurde.

Kann Europa ähnlich agieren wie Japan damals?

So einfach ist das nicht. Der Dollar hat gegenüber dem Euro aufgrund der Zinsdifferenz bereits massiv aufgewertet. US-Staatsanleihen rentieren mit rund 1,9 Prozent. Deutsche Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit werfen 0,5 Prozent ab. Heute stellt sich die Frage: Was für ein Währungsrisiko will ich eingehen? Werden die Investoren bei dem jetzigen Niveau tatsächlich weiter aus dem Euro raus- und in den Dollar reingehen? Gerade unter dem Aspekt, dass das Thema Griechenland auch schon ein paar Wochen auf dem Tisch ist, scheint das mehr als fraglich.

Demnächst will die EZB dem europäischen Wirtschaftswachstum voraussichtlich mit Staatsanleihenkäufen auf die Sprünge helfen. Was passiert dann?

Wenn Draghi die Wirtschaft durch Anleihekäufe regelrecht dazu zwingen will, dass sie investiert, dann steigt die Nachfrage nach Staatsanleihen zusätzlich. Dabei muss man folgenden Punkt beachten: Wenn der Finanzminister eine Milliarde Euro in die Wirtschaft pumpt, kommt für dieses Geld mindestens der Gegenwert an Wirtschaftswachstum heraus. Geldpolitik kann das nicht. Kaufen Sie ein neues Auto, wenn ihr altes ein Jahr alt ist, nur weil der Zins von 0,5 auf 0,2 Prozent gesunken ist? Nein. Genau das ist das Problem. Damit haben wir folgende Situation: Auf der einen Seite entschuldet sich der Staat über die Tilgung von ausstehenden Anleihen; er verknappt also das Angebot. Auf der anderen Seite kommt Mario Draghi und kauft zusätzlich Bundesanleihen. Dazu kommt die niedrige Inflation. Die Mischung macht's. Angesichts fehlender Alternativen kauft dann noch der letzte Verrückte, der meint, mit 0,46 Fälligkeitsrendite auf zehn Jahren mache er einen guten Deal, Bundesanleihen.

Wird EZB auch griechische Anleihen kaufen oder ausschließlich hochwertige Anleihen wie Bundesanleihen?

Mario Draghi will das "Pferd zum Saufen bringen", das heißt, er wird alles kaufen, was beste Bonitäten hat, das sind zum Beispiel Bundesanleihen oder französische OATs. Er könnte auch die Renditen umliegender Staaten, die gefährdet sind, durch Käufe stützen. Griechenland muss sich bei acht oder neun Prozent refinanzieren, das ist eine erhebliche Belastung beim Versuch den öffentlichen Haushalt wieder auf die Füße zu stellen. In der Vergangenheit ist die EZB hier hin und wieder eingeschritten. Aber Draghi muss sich auch absichern. Verabschiedet sich Griechenland von den Vorgaben von IWF, EU, ESM, kann er nicht so tun, als wäre nichts geschehen. Deshalb wird er aus politischen Gründen keine Griechenland-Bonds kaufen. Er könnte es, aber er wird es nicht tun.

Welche Rolle spielt der Ölpreis?

Norbert Hagen, ICM InvestmentBank AG

Norbert Hagen, ICM InvestmentBank AG

Wir beobachten hier einen Strukturbruch. Es findet eine entscheidende Vermögensumverteilung statt. Alle, die Öl exportieren, verlieren nach jetzigem Stand 50 Prozent ihres Einkommens. Stellen Sie sich das für die Bundesrepublik vor, die ein BIP von 2 Billionen Euro hat. Dieser Abschmelzprozess betrifft nicht nur den Ölexporteur Venezuela, sondern auch die USA. Die amerikanische Wirtschaft wird in diesem Sektor nachlassen. Damit erhalten wir auch teilweise einen Hinweis auf die weitere Entwicklung des Dollar. Schäuble hätte auch sagen können, ich reduziere die Steuern auf Treibstoffe, um die Wirtschaft anzukurbeln. Was hier passiert, ist viel besser in der Wirkung als die Geldpolitik von Draghi. Weil es 1:1 bei uns im Geldbeutel ankommt.

Drückt der Ölpreis die Rendite von Bundesanleihen nach unten?

Nein. Der Ölpreis stimuliert Wachstum und sollte die Renditen eher steigen lassen. Draghi hält hier aber dagegen. Der Ölpreis und die Geldpolitik der EZB gleichen sich gewissermaßen aus. Der Mechanismus ist folgender: Das billige Öl schlägt sich in Wachstum nieder. Unternehmen fragen Geld nach, das Anleiheangebot steigt und die Zinsen steigen. Auf der anderen Seite kauft die EZB Anleihen, also steigt die Nachfrage. Beides neutralisiert sich. Meiner Ansicht nach ist Griechenland für die Rendite ausschlaggebend. Wenn eine neue Situation auftritt, die als Risiko verstanden wird, dann halten alle still. So eine Paralyse ist in der Regel risikoavers. Damit erklärt sich auch, wo wir momentan sind. Die Leute warten ab.

Also steigen die Anleiherenditen, wenn die Wirtschaft wieder anspringt?

Davon sollte man ausgehen. Der Ölpreisrutsch hat eine Billion Dollar an Vermögensumverteilung ausgemacht. Das Potential für zehnjährige Bundesanleihen sollte bei einer Rendite von aktuell unter 0,5 Prozent limitiert sein.

Und wann werden die Konjunkturausblicke angepasst?

Die Anpassungen nach oben werden schätzungsweise in den ersten beiden Quartalen laufen. Die Zahlen von Januar und Februar vergangenen Jahres zeigen, dass die Ukraine-Krise mit den Embargos in der Euroregion ungefähr 0,6 Prozent Wachstum gekostet hat. Bei damals erwarteten 1,6 Prozent ist das beträchtlich. Genau das gleiche funktioniert aber auch andersherum. Fallen zusätzlich zum Konjunkturpaket aus dem niedrigeren Ölpreis auch noch die Embargos weg, dann hätten Sie weitere 0,6 Prozent obendrauf. Das Wachstum in der Eurozone könnte so bis auf 2,0 oder 2,5 Prozent hochlaufen. Für Bundesanleihen bedeutet das, dass sie dann keine 0,5 Prozent, sondern über zwei Prozent Rendite haben. Oder in Kursen ausgedrückt: Eine zehnjährige Benchmark-Bundesanleihe, wie sie über den Bund-Future abgebildet wird, hat einen Kurs von 157 Prozent. Bei einer Rendite von 2 Prozent kommen wir in etwa bei Kursen von 135 Prozent heraus. Das würde bedeuten, dass eine zehnjährige Bundesanleihe durchaus 20 Prozentpunkte verlieren könnte.

Mit Norbert Hagen sprach Diana Dittmer.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen