Wirtschaft

Griechenland wählt "Es fehlt an Realitätssinn"

Die Wahl in Griechenland hält die ganze Euro-Zone in Atem: Was macht Tsipras, wenn er Ministerpräsident wird?

Die Wahl in Griechenland hält die ganze Euro-Zone in Atem: Was macht Tsipras, wenn er Ministerpräsident wird?

(Foto: REUTERS)

Die jahrelange Krise hat in Griechenland tiefe Spuren hinterlassen, sagt Nikos Konstandaras von der Tageszeitung "Kathimerini" im Gespräch mit n-tv.de. Dennoch habe sich viel zu wenig verändert. Sein Fazit: Die Schmerzen haben sich nicht ausgezahlt.

n-tv.de: Griechenland hat sechs Krisenjahre hinter sich. Wie stark hat sich das Land verändert?

Nikos Konstandaras: Es hat sich sehr stark verändert. Aber es hat sich nicht ausreichend verändert. Natürlich hat die jahrelange Rezession tiefe Spuren hinterlassen. Für jede Gesellschaft wäre es eine unglaubliche Herausforderung, mit diesem Ausmaß fertigzuwerden. Uns wird viel abverlangt. Die Kosten sind immens - nicht nur die ökonomischen, auch die sozialen Kosten sind außerordentlich. Das Bruttoinlandsprodukt ist um ein Viertel eingebrochen, die Arbeitslosigkeit ist hoch.

Nikos Konstandaras ist leitender Redakteur der griechischen Tageszeitung "Kathimerini".

Nikos Konstandaras ist leitender Redakteur der griechischen Tageszeitung "Kathimerini".

Inwiefern hat sich vor diesem Hintergrund zu wenig verändert? 

Die Schmerzen zahlen sich nicht aus. Die Sparmaßnahmen und die Rezession tun weh, aber die Griechen spüren keinen Nutzen. Die Bürokratie ist nicht effizienter geworden, das Land nicht funktionstüchtiger.

Am kommenden Sonntag wird in Griechenland gewählt. Die Umfragen sehen die Syriza-Partei von Alexis Tsipras vorne. Findet eine Radikalisierung der Wähler statt?

Diese Radikalisierung hat schon vor zweieinhalb Jahren stattfgefunden. Bis zu den Parlamentswahlen im Jahr 2012 haben die konservative Nea Dimokratia und auf der anderen Seite die Pasok gemeinsam regelmäßig zusammen rund 80 Prozent der Stimmen bekommen. Syriza wird bei den Wahlen am Sonntag wohl etwas mehr Stimmen erhalten als bei der Wahl 2012 oder der Europawahl, die sie mit knapp 27 Prozent gewonnen hat. Allerdings darf man hier die rechtsextreme "Goldene Morgenröte" nicht übersehen, die wohl wieder ins Parlament einziehen wird.

Tsipras will die Sparpolitik beenden, Reformen zurückdrehen und einen Schuldenerlass der internationalen Gläubiger erreichen. Warum spricht er damit nicht mehr Griechen an?

Er erreicht damit genügend Griechen, um Wahlen zu gewinnen. Doch viele sehen ihn und Syriza skeptisch – auch wenn sie nicht zufrieden mit dem sind, was die Regierungen bisher erreicht haben. Worüber sollen sie auch zufrieden sein? Doch sie fragen sich: Was passiert, wenn sich Griechenland nicht an die getroffenen Verabredungen hält? Wir können doch nicht einfach zu unseren Partnern gehen und sagen, ihr bekommt eure 240 Milliarden Euro nicht zurück. Und dann sagen, dass wir außerdem noch mehr Geld wollen. Wenn Griechenland die Vereinbarungen zu seinen Gunsten ändern will, muss es etwas anbieten. Und ich sehe nicht, dass Syriza etwas anbietet.

Welchen Anteil am Erfolg von Syriza hat Tsipras?

Einen großen. Er ist jung. Das ist etwas völlig Neues in der griechischen Politik. Und er ist clever. Er weiß, wie er seine Botschaft an verschiedene Leute bringen kann. Manchmal hat er eine radikale Position, manchmal ist er zurückhaltend. Je nach Publikum. Wir wissen nicht, auf welche Weise er regieren würde. Auch in seiner Partei gibt es sehr gegensätzliche Positionen. Tsipras und sein Führungszirkel steuern eine lose Koalition in Richtung Wahlsieg. Das hält diese Partei zusammen. Ich bin gespannt darauf, wie Tsipras sie nach den Wahlen zusammenhält.

Wird in Griechenland ein Euro-Austritt für möglich gehalten?

Nein. Das Absurde ist doch, dass viele Griechen die Dinge auf ihre Weise machen wollen und gleichzeitig in der Eurozone bleiben möchten. Das passt nicht zusammen. Und das ist auch das Problem, das ich mit Syriza habe. Wer nach seinen eigenen Regeln spielen will, muss auch den Konsequenzen ins Auge sehen. Natürlich wünsche ich mir, dass Griechenland eine unabhängige Wirtschaftspolitik betreibt. Doch dazu ist das Land noch nicht in der Lage. Es braucht weiterhin Hilfe. Und wem die Bedingungen nicht passen, kann sie nur durch gute Argumente ändern. Europa kann die Probleme nur gemeinsam lösen, nicht gegeneinander.

Fühlen sich Griechen als Europäer zweiter Klasse?

Dieses Gefühl gibt es. Mit Beginn der Krise gab es - nicht nur in Deutschland - das Narrativ: "Die Griechen haben große Fehler gemacht und sollen dafür bestraft werden. Die haben Ouzo getrunken, während wir gearbeitet haben. Und nun müssen wir die Griechen mit unserem Geld retten." All diese Klischees wurden benutzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dazu beigetragen, die Krise auf eine persönliche Ebene zu bringen, indem sie mit dem Finger auf Griechenland zeigte. Das war ein Fehler, denn es erschwert die Lösung. Kritik ist berechtigt. Aber nicht auf diese Weise. Es hat sich gerächt, dass es zu Beginn der Krise keinen europäischen Hilfsmechanismus gegeben hat.

Was muss in Griechenland passieren, um die Krise zu überwinden?

Bisher fehlt es einem Großteil des politischen Systems in Griechenland an Realitätssinn. Die einen erkennen, dass wir das Land reformieren müssen. Die anderen meinen, wir brauchen nichts zu tun. Und das ist ein Problem. Wenn ich als Grieche die Hälfte meines Gehalts für Steuern und Sozialversicherung ausgebe, bekomme ich keine adäquate Gegenleistung  - im Gegensatz zu Deutschen oder zu Niederländern. Statt hier anzusetzen, wurden lieber Renten gekürzt. Das ist einfach, löst aber die wirklichen Probleme nicht. Die Tragödie ist, dass es in Griechenland viele Menschen gibt, die die Dinge in Ordnung bringen wollen. Doch sie müssen gleichzeitig mit Leuten fertigwerden, die Probleme lieber vor sich herschieben. 

Mit Nikos Konstadaras sprach Jan Gänger

Quelle: ntv.de

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