Wirtschaft

Ernüchterung in Euroland "Die lustige Schuldenwirtschaft ist vorbei"

Ilja Richter als Mammon in einer Szene des Stücks "Jedermann" im Dom in Berlin.

Ilja Richter als Mammon in einer Szene des Stücks "Jedermann" im Dom in Berlin.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ein Krisenjahr geht zu Ende und Europa verschnauft zwischen zwei Krisengipfeln. Ende Januar, Anfang Februar will EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy das nächste Treffen zur EU-Schuldenkrise einberufen. Falls nicht schon vorher einbrechende Börsen oder die bedrohliche Finanzlage Italiens einen Notfall erfordern. Möglich ist inzwischen alles. Höchste Zeit, kurz Bilanz zu ziehen, bevor der Dauerlauf um die Euro-Rettung wieder von Neuem beginnt. Eins ist gewiss, die Schuldenparty ist vorbei. n-tv.de fragt den Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, wo wir in der Euro-Schuldenkrise stehen:

n-tv.de: Ein Gipfel hat dieses Jahr den nächsten gejagt. Aber nie waren wir mit unseren Schuldenproblemen über den Berg. Oben angekommen, wurde lediglich der Blick auf die nächsten Probleme und den nächsten Gipfel frei. Was war für Sie – im Negativen - der Gipfel der Gipfel in diesem Jahr?

Holger Schmieding: Den großen Fehler hat Europa am 21. Juli gemacht. Gegen den eindringlichen Rat der Europäischen Zentralbank und der Deutschen Bundesbank haben wir Griechenland umgeschuldet, ohne Italien gegen Ansteckungsgefahren abzusichern. Damit haben wir die Marktturbulenzen ausgelöst, mit denen wir die Eurozone von gesundem Wachstum (bis Mitte 2011) direkt in die Rezession geschleudert haben.

Die europäischen Probleme wurden – auch wegen der umtriebigen Ratingagenturen - immer dringender. Trotzdem schaffte die Politik es nicht, sich schneller zu bewegen. Große Würfe gab es nicht, eher Trippelschritte. Was ist in Ihren Augen der größte Wurf, der Europa 2011 geglückt ist?

Das neue Fiskalkorsett, das Europa im Dezember vereinbart hat, ist ein großer Fortschritt. Damit können wir künftige Krisen vermeiden. Allerdings können wir damit nicht die aktuelle Krise lösen. Mit den Ratingagenturen hat die Krise nahezu gar nichts zu tun. Aber die Neigung, die Überbringer schlechter Nachrichten zu verteufeln, ist halt recht ausgeprägt.

Bundeskanzlerin Merkel wurde immer wieder vorgeworfen zu viel zu bremsen, Lösungen zu behindern. Sie sagt, die große schnelle Lösung gibt es nicht. Wie hat sich Deutschland in der Krise in Ihren Augen geschlagen?

Holger Schmieding, Berenberg Bank

Holger Schmieding, Berenberg Bank

Deutschland hat den großen Fehler begangen, darauf zu drängen, Griechenland umzuschulden. Ansonsten hat Deutschland vieles richtig gemacht. Das neue Fiskalkorsett für Europa, das Kanzlerin Merkel im Dezember durchgesetzt hat, ist ein großer Fortschritt. Herzlichen Glückwunsch, Frau Merkel! Europa wird dadurch besser.

Dieses Jahr war das Jahr der "Neu-Alphabetisierung". Die Buchstabensuppe der Ratingagenturen dürfte sich bis in die entlegensten Winkel Europas und der USA verbreitet haben. Wird uns das neue Jahr Alternativen zu Moody's, Fitch und S&P bescheren?

Nein. Die Ratingagenturen sind weder Teil des Problems noch Teil der Lösung.

Wird Griechenland die Kurve kriegen und in Euroland bleiben? Ist das angesichts der sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit überhaupt erstrebenswert?

Die Gefahr, dass Europa Griechenland fallen lässt, ist mittlerweile sehr groß. Wir haben Athen eine derart scharfe Sparpolitik aufgezwungen, dass die griechische Wirtschaft unter der Bürde weitgehend zusammengebrochen ist. Griechenland braucht Strukturreformen statt höherer Steuern. Mit einer klugen Politik könnte Griechenland noch im Euro gehalten werden. Aber dafür müssen wir den Griechen etwas Luft zum Atmen geben.

Die EZB ist in diesem Jahr immer mehr zur Krisen-Feuerwehr mutiert. Wie lässt sich die bisherige Entwicklung fortzeichnen? Kommen wir an Eurobonds vorbei?

Eurobonds sind Unsinn. Sie schaffen völlig falsche Anreize. Die EZB hat bisher nur derart halbherzig eingegriffen, dass sie kaum etwas bewirkt hat. Mit einem energischeren Eingriff könnte die EZB die Krise jederzeit beenden.

Häuserkrise, Bankenkrise, Staatsschuldenkrise, wieder Bankenkrise. Was kann noch passieren?

Bis die EZB sich endlich aufrafft, die Finanzstabilität der Eurozone zu sichern, kann noch so manches passieren.

Durch die Eurozone rollte eine Welle der Proteste. Besonders in Griechenland gingen die Menschen auf die Straße, um ihren Unmut über die Sparmaßnahmen zu äußern. Wie viel werden die Menschen verkraften müssen?

Protestwellen hat es immer wieder gegeben, 1968 war viel mehr los, zur Zeit der Nachrüstung war es auch nicht gerade still. Die Menschen werden sich daran gewöhnen müssen, dass sie nur ausgeben können, was sie selbst erarbeitet haben – und dass der Staat nur das ausgeben kann, was seine Bürger ihm an Steuereinnahmen eingeräumt haben. Die lustige Schuldenwirtschaft ist halt vorbei. Dagegen zu protestieren, nützt etwa so viel wie ein Protest gegen das Nahen des Winters.

Mit Holger Schmieding sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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