Wirtschaft

Stoßzeit in der Lagerhalle Wer will noch für Amazon arbeiten?

Allein zwischen den Regalen von Amazon Brieselang.

Allein zwischen den Regalen von Amazon Brieselang.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die umsatzstärkste Zeit des Jahres beginnt. Online-Händler wie Amazon brauchen jetzt jede Hand. Doch am Standort in Brandenburg läuft die Suche nach Saisonkräften schleppend. Warum? Einblicke in die "Blackbox" Amazon.

Stoßzeit sieht anders aus. Bei den Amazon-Mitarbeitern im brandenburgischen Brieselang kommt selbst kurz vor Weihnachten keine Hektik auf. Fast bedächtig schieben sie ihre Transportwagen an Hunderten von Regalmetern entlang. Bei der Orientierung helfen die Handscanner, die gleichzeitig auch Navigationssysteme sind. Regal B 103, Fach E 551, rechts, links, geradeaus. Kein Schritt ist umsonst. Andere Mitarbeiter nehmen in aller Seelenruhe angelieferte Ware entgegen oder packen Bestellungen zusammen. Für Hektik oder gar Panik gibt es keinen Anlass, sagt Standortleiter Karsten Müller. Hier gehe es ruhig zu. Der Logistikriese wisse, wie es auch so am schnellsten gehe.

Das Logistikzentrum Brieselang, knapp eine Stunde von Berlin entfernt.

Das Logistikzentrum Brieselang, knapp eine Stunde von Berlin entfernt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Standort Brieselang, der erst vor zwei Jahren eröffnet wurde, hat für die bevorstehende Sturm- und Drangzeit vorgesorgt. Das gigantische Lager wurde um ein Drittel aufgestockt. Jetzt müssen nur noch die Bestellungen eingehen und die Millionen Artikel, die hier gelagert sind, in Päckchen gepackt und verschickt werden. Den 450 Festangestellten sollen dabei 500 Saisonarbeitskräfte, deren Verträge bis zum Jahresende befristet sind, helfen. Ausgerechnet kurz vor dem Weihnachtsgeschäft fehlen dem Unternehmen allerdings noch 120 Saisonkräfte. Müller gibt die Schuld den Wettbewerbern, die vom selben Arbeitskräftepool zehren. Direkt neben Amazon auf der grünen Wiese in Brandenburg steht eine gigantische Halle von Zalando.

"Amazon ist ein guter Arbeitgeber"

Knapp 10 Euro brutto bekommt jeder pro Stunde.

Knapp 10 Euro brutto bekommt jeder pro Stunde.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Standortleiter bleibt dennoch zuversichtlich, auf den letzten Drücker noch genügend Helfer zu finden, die für Amazon "storen", "picken" und packen, wie es im Amazon-Jargon heißt. Die Arbeitsbedingungen seien attraktiv, sagt der lässig freundliche Manager mit Dreitagebart, der sich von allen Mitarbeitern duzen lässt. "Wir wissen, dass wir ein großer Arbeitgeber sind. Wir haben eine große Verantwortung." Die Bezahlung lag bis September mit 9,75 Euro brutto pro Stunde für festangestellte Mitarbeiter und Saisonkräfte am oberen Ende der Logistikbranche. Daneben gebe es Boni in Form eines Aktienpakets, Fortbildung in Zusammenarbeit mit der Deutschen Industrie- und Handelskammer (IHK) und Zusatzleistungen wie eine Berufs- und Lebensversicherung. Sogar für einen Bus-Shuttle ins knapp eine Stunde entfernt liegende Berlin ist gesorgt, so dass Mitarbeiter pünktlich zur ersten Schicht morgens um sechs Uhr antreten können.

Ohne ihren Handscanner wären die "Picker" verloren.

Ohne ihren Handscanner wären die "Picker" verloren.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Gewerkschaft Verdi ist dennoch unzufrieden. Brieselang ist zwar der einzige Standort von Amazon, der noch nicht bestreikt wurde. Das  liegt für sie aber allein daran, dass der Standort jung ist und die Arbeitnehmer noch nicht organisiert. Für Verdi ist der Trend klar: Immer mehr Menschen würden Arbeitsbedingungen wie bei dem Online-Versandhändler meiden, heißt es auf Nachfrage. Der Druck für die Mitarbeiter sei hoch. Über die Scanner könne Amazon jederzeit erfassen, wer arbeite und wer nicht. Kritik für "inaktive Zeiten" sei keine Seltenheit.

Auch die niedrige Bezahlung im Verhältnis zum schnellen Wachstum des Unternehmens missfällt den Arbeitnehmervertretern. Verdi will den höheren Einzelhandelstarif durchsetzen. Der Einstiegslohn für Ungelernte am Markt insgesamt beträgt im Schnitt bereits 10 Euro. Bei Amazon kommen Stammkräfte erst nach zwei Jahren auf 11,61 Euro.

Amazon
Amazon 181,28

Überhaupt liegt die magische Grenze bei vielen Vorteilen für Arbeitnehmer bei zwei Jahren. Auch das Aktienpaket kann in vollem Umfang nur von denen zu Geld gemacht werden, die zwei Jahre und einen Tag bei Amazon beschäftigt sind. Davor sind es nur 49 Prozent vom Aktienpaket, die versilbert werden können. Grund genug für das Unternehmen, Mitarbeiter keine vollen zwei Jahre zu beschäftigen, sagt Verdi.

Der Druck wächst

Auch wenn man es nicht direkt sieht: Der Druck auf das Unternehmen, das lange Zeit die Öffentlichkeit gescheut hat, wächst - sowohl von innen wie von außen. Mit 20 Prozent mehr Bestellungen als 2013 war die Weihnachtssaison im vergangenen Jahr die bislang erfolgreichste für Amazon in Deutschland. Dieses Jahr soll es mehr werden. Schnelligkeit wird immer wichtiger, um Kunden zum Kaufen zu bewegen. Der Konzern hat zuletzt versprochen, in Ballungsräumen noch am selben Tag zu liefern. Wer Heiligabend in München bis 5 Uhr morgens seine Weihnachtsgeschenke bestellt, soll sie am Abend auf den Gabentisch legen können. Auch die Standorte machen sich gegenseitig Konkurrenz. Brieselang konkurriert mit neuen Zentren in Polen oder Tschechien. Im vergangenen Jahr beschäftigte Brieselang noch insgesamt 1500 Mitarbeiter in der Hochsaison – das waren 500 mehr als dieses Jahr.

Langsam scheint sich Amazon für Kritik zu öffnen. Inzwischen zählt nicht mehr nur der Kunde, auch das soziale Gewissen wird hervorgekehrt. Der Anteil an Festangestellten wächst. Im Deutschland liegt er bei 80 Prozent im Schnitt – in Brieselang sind es 72 Prozent. Auch mit anderen Aktivitäten, wie etwa einem Schreibwettbewerb für Schulen, versucht das Unternehmen das Image aufzupolieren.

Soziales Engagement

Sogar das Flüchtlingsthema hat Amazon sich auf die Fahne geschrieben. Neben einem Spendenaufruf heißt es in der Eigenpräsentation: "Amazon arbeitet eng mit der Arbeitsagentur zusammen, um Flüchtlingen schnell und unbürokratisch in der Weihnachtszeit eine saisonale Tätigkeit anzubieten." Tatsächlich wissen aber weder der Standortleiter noch die Pressesprecher, wie viele Flüchtlinge in Brieselang oder gar deutschlandweit bei Amazon arbeiten.

"Sicherlich könnten darunter auch ein paar Flüchtlinge sein", heißt es. Alle seien aber durch reguläre Bewerbungsverfahren eingestellt worden, deshalb seien sie von anderen Mitarbeitern nicht zu unterscheiden. Einstellungsgespräche werden nur auf Deutsch geführt, höchstens noch auf Englisch. Die Vorleistungen wie den Spracherwerb und die Ausstellung der notwendigen Papiere müssten die Arbeitsagenturen erbringen, heißt es hier bei Amazon.

Also, auch wenn Amazon noch Mitarbeiter sucht: Nicht jeder, der will, kann dort arbeiten. Und nicht jeder, der kann, will dort arbeiten. Und wer dort arbeitet, wird das nicht unbedingt länger als zwei Jahre tun.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen