Wirtschaft

Abgas-Crash an der Börse VW-Aktie rast Richtung 100 Euro

VW CC bei einem umstrittenen Crashtest in den USA: Die Prüfer ließen den Wagen frontal versetzt nur mit der linken Vorderkante gegen das Hindernis aufprallen.

VW CC bei einem umstrittenen Crashtest in den USA: Die Prüfer ließen den Wagen frontal versetzt nur mit der linken Vorderkante gegen das Hindernis aufprallen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ein Geständnis auf höchster Ebene, ein blutroter Börsentag - und dann die Gewinnwarnung: Der Abgasskandal treibt die Investoren in Scharen aus ihrem Engagement bei Volkswagen. Der VW-Kurs rauscht weiter in die Tiefe.

Der Skandal um manipulierte Diesel-Abgaswerte entwickelt sich für Europas größten Automobilkonzern zur kurstechnischen Katastrophe: Die im Leitindex Dax gelistete Vorzugsaktie des Konzerns stürzt den zweiten Tag in Folge dramatisch ab. Zum Handelsschluss am Dienstag kostet die VW-Aktie nur noch 106,00 Euro - im Vergleich zum Vortag entspricht das einem Minus von 19,81 Prozent.

Das Fehlverhalten bei den Abgasmessungen zwang Volkswagen zuletzt zu einer Gewinnwarnung. Im Zusammenhang mit der Affäre würden im dritten Quartal rund 6,5 Milliarden Euro "ergebniswirksam zurückgestellt", teilte VW mit. Dabei handele es sich um eine Vorsichtsmaßnahme, betonte ein VW-Sprecher. Interne Prüfungen hätten ergeben, dass es die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Autos des Konzerns gebe.

Reichen 6,5 Milliarden Euro aus?

In Reaktion auf die Gewinnwarnung gab der Kurs der VW-Aktie an der Frankfurter Börse zeitweise um mehr als 20 Prozent nach. Im Tagestief aus dem Verlauf fiel der Kurs bis auf 101,35 Euro ab. Damit waren die VW-Papiere so billig zu haben wie zuletzt vor gut vier Jahren. Zum Vergleich: Noch im Frühjahr 2015 kostete eine VW-Aktie in der Spitze noch 262,45 Euro.

Der aktuelle Auslöser der neuerlichen Talfahrt? Am späten Vormittag hatte der Wolfsburger Konzern neben der Gewinnwarnung auch bekanntgegeben, dass weltweit rund elf Millionen Dieselfahrzeuge mit der fraglichen Manipulationssoftware ausgestattet wurden.

Angesichts der Betrugsvorwürfe sind die Ziele bei Umsatz und Gewinn im laufenden Jahr offenbar nicht mehr zu halten. Volkswagen drohen schlimmstenfalls Strafzahlungen in einer bislang nur theoretischen Höhe von bis zu 18 Milliarden Dollar. Neben den bisherigen Rückstellungen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro für etwaige Strafzahlungen und Rückrufaktionen rollen auf Volkswagen Branchenkennern zufolge auch Probleme bei den Absatzzahlen und den Marktanteilen im US-Markt zu.

Abgas-Affäre noch nicht ausgestanden

Dazu kommen womöglich weitere Konsequenzen in anderen, womöglich noch wichtigeren VW-Märkten. In Europa hält die EU spezielle Kontrollen zunächst nicht für nötig. Es sei verfrüht zu sagen, ob "unmittelbare spezifische Überwachungsmaßnahmen auch in Europa notwendig sind und ob von Volkswagen in Europa verkaufte Autos ebenfalls betroffen sind", teilte eine Sprecherin der EU-Kommission mit.

Die Kommission habe das Thema jedoch im Auge, stellte die Sprecherin klar: "Wir müssen dem auf den Grund gehen." Dazu sei die Behörde mit dem Autokonzern ebenso wie mit den zuständigen US-Behörden in Kontakt. Die EU-Kommission verwies darauf, dass ab 2016 in der EU ein neues Messverfahren (RDE) zur Ermittlung der CO2-Emissionen und des Kraftstoffverbrauchs von Pkw eingeführt werden soll. Die EU setze die Grenzwerte und die Verfahren fest, für die Umsetzung der Regeln seien die Mitgliedsländer verantwortlich, betonte die Sprecherin.

Zuvor hatte der Frankreichs Finanzminister Michel Sapin eine Untersuchung auf EU-Ebene gefordert. "Wir haben einen europäischen Markt mit europäischen Regeln", die eingehalten werden müssten, sagte Sapin dem französischen Radiosender Europe 1. Um die Bürger "zu beruhigen", sei es nötig, nicht nur Volkswagen-Fahrzeuge, sondern auch andere europäische Autohersteller - also auch französische Modelle - zu kontrollieren.

In Italien kündigte das Verkehrsministerium eigene Ermittlungen gegen den Wolfsburger Autokonzern an. Man wolle herausfinden, ob das Unternehmen wie in den USA auch in Europa bei Emissionsüberprüfungen die Dieselabgaswerte manipuliert habe, hieß es aus Rom. Es sei ein entsprechendes Schreiben mit Fragen an Volkswagen geschickt worden.

In Deutschland hatte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt bereits am Vortag angekündigt, sämtliche Diesel-Modelle von Volkswagen auf dem deutschen Markt überprüfen lassen zu wollen. In Südkorea lud das Umweltministerium lokale Vertreter des deutschen Autobauers vor. In den USA leiteten die Behörden strafrechtliche Ermittlungen gegen VW ein.

Wackelt Winterkorn?

In der Schweiz will das Bundesamt für Straßen prüfen, ob die fraglichen Diesel-Modell auch dort verkauft wurden. Mit Ergebnissen sei innerhalb von einigen Tagen zu rechnen, heißt es. In Australien forderte die Regierung VW auf, zu klären, ob dort ebenfalls manipulierte Fahrzeuge unterwegs sind. In den USA hatte der Konzern für die betroffenen Modelle einen Verkaufsstopp verhängt, dort drohen strafrechtliche Ermittlungen.

In Wolfsburg könnte der Skandal zudem auch eine neue Führungsdebatte auslösen - mit allen Konsequenzen für Kurs und Ausrichtung des deutschen Weltkonzerns: Mitte der Woche kommt der VW-Aufsichtsrat zu einer kurzfristig einberufenen Sondersitzung zusammen, um über die Affäre und ihre Folgen für den Konzern zu beraten. Womöglich geht es dabei auch um die Personalie Winterkorn.

"Unabhängiger Chefaufklärer"

Niedersachsens ehemaliger Wirtschaftsminister Jörg Bode fordert wegen des Abgasskandals eine Verschiebung der Vertragsverlängerung für VW-Chef Martin Winterkorn. "Solange nicht lückenlos aufgeklärt ist, wer im Konzern von den Manipulationen wusste und vom wem sie angeordnet wurden, sollte hier keine Entscheidung gefällt werden", sagte Bode, der selbst von 2009 bis 2013 Mitglied des VW-Aufsichtsrates war. Das Land Niedersachsen ist Hauptanteilseigner bei VW.

Nach der bisherigen Planung wollte der VW-Aufsichtsrat am kommenden Freitag den Vertrag mit Winterkorn bis 2018 verlängern. Dann kommt das Kontrollgremium zu einer regulären Sitzung in Wolfsburg zusammen. Inzwischen hat sich die Lage bei VW komplett verändert: Sollte sich im Laufe der Untersuchungen herausstellen, dass die Konzernspitze in die Manipulationen verwickelt war, wäre eine anschließende Trennung vom Vorstandschef angesichts der Vertragslage ein weiterer finanzieller Schaden für VW, betonte Bode. Um den Diesel-Skandal aufzuklären, müsse zudem schnell ein "unabhängiger Chefaufklärer" eingesetzt werden.

US-Prüfer getäuscht

Die Vorwürfe gegen Volkswagen und die VW-Tochter Audi waren vor dem Wochenende öffentlich geworden. Nach Angaben der US-Umweltbehörde EPA entwickelte Volkswagen eine Software, mit der Vorgaben zur Luftreinhaltung zwar bei Tests, nicht aber beim normalen Betrieb der Autos erfüllt wurden. Die Dieselfahrzeuge stießen folglich im regulären Straßenverkehr mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus als erlaubt.

Am Wochenende hatte die Wolfsburger Konzernspitze die Verfehlungen eingestanden - und damit einen drastischen Kurssturz der VW-Aktie zu Wochenbeginn ausgelöst. Bis zum Abend belief sich das Minus bei VW auf 18,6 Prozent. Rein rechnerisch hat sich damit der Börsenwert von VW binnen eines einzigen Tages um rund 14 Milliarden Euro reduziert. Der Dax konnte sich dagegen zu Wochenbeginn dem Abwärtssog zum Trotz knapp in der Gewinnzone halten.

Quelle: ntv.de, mmo/AFP/DJ/dpa

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