Wirtschaft

Strategisches Risiko für ThyssenKrupp Schweden rekrutiert U-Boot-Ingenieure

Militärischer Einfluss aus der Tiefe: Dank Brennstoffzellentechnik aus Deutschland können Boote der Klasse 212A den Schiffsverkehr nahezu unbemerkt überwachen.

Militärischer Einfluss aus der Tiefe: Dank Brennstoffzellentechnik aus Deutschland können Boote der Klasse 212A den Schiffsverkehr nahezu unbemerkt überwachen.

Der Streit um lukrative U-Boot-Aufträge eskaliert: Zum Ärger der Schweden lässt ThyssenKrupp die hoch spezialisierten Hightech-Waffensysteme in Deutschland bauen. Stockholm schaltet auf Konfrontation. Saab wirbt gezielt deutsche Spezialisten ab.

Hoch geheime, weltweit begehrte Technik: Heck und Antriebspropeller von "U36", dem sechsten hochmodernen U-Boot der Klasse 212A für die Deutsche Marine.

Hoch geheime, weltweit begehrte Technik: Heck und Antriebspropeller von "U36", dem sechsten hochmodernen U-Boot der Klasse 212A für die Deutsche Marine.

(Foto: dpa)

Die Spannungen zwischen dem schwedischen Verteidigungsministerium und ThyssenKrupp droht eines der profitabelsten Geschäftsfelder des deutschen Industriekonzerns zu erschüttern. Die Auseinandersetzung könnte zudem die Machtverhältnisse im rasch wachsenden Weltmarkt für U-Boote grundlegend verändern. In der Debatte um Preise und Produktionsstandorte hat Schweden ThyssenKrupp die Verträge für die nächste Generation schwedischer U-Boote vorerst entzogen.

ThyssenKrupp Marine Systems ist der weltgrößte Exporteur nicht nuklear betriebener U-Boote. Das Land signalisierte, die Aufträge stattdessen möglicherweise an das heimische Rüstungsunternehmen Saab AB zu vergeben. Allerdings baut Saab - nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Automarke - derzeit gar keine bemannten U-Boote. Jedoch ist das Unternehmen dabei, Ingenieure von ThyssenKrupps U-Boot-Tochter in Schweden abzuwerben.

ThyssenKrupp hatte 2005 den schwedischen U-Boot-Bauer Kockums übernommen. Seit dem Zukauf wurde aus Schweden kein einziges neues U-Boot mehr exportiert. Darüber seien schwedische Offizielle sehr aufgebracht, sagten Vertraute der schwedischen Position. Zuvor war das Land der weltweit drittgrößte Exporteur konventioneller U-Boote, nach Russland und Deutschland.

Die Nachfrage nach konventionellen U-Booten wächst. Sie gelten als weitaus günstiger als ihre nuklear angetriebenen Gegenstücke. ThyssenKrupp bietet unter anderem auch Boote an, die dank der deutschen Brennstoffzellentechnik sehr viel länger unter Wasser bleiben können und dabei auch sehr viel leiser operieren als herkömmliche U-Boote mit Dieselantrieb. Das macht die Einheiten weitgehend unabhängig von ihren Versorgungsbasen.

Bieterschlacht um U-Boot-Ingenieure

Der Bereich, in dem sie den Schiffsverkehr überwachen, aufklären und kontrollieren können, lässt sich dadurch sehr weit ausdehnen. Erst im vergangenen Sommer demonstrierte ein U-Boot der deutschen Marine die neuen Fähigkeiten. Im Rahmen eines auf mehrere Monate angesetzten Militärmanövers überquerte das Boot U 32 den Nordatlantik, um nach einer mehrwöchigen Tauchfahrt vor der Ostküste der USA mit US-Einheiten Angriffs- und Verteidigungsszenarien durchzuspielen.

ThyssenKrupp
Thyssenkrupp 4,97

Die geopolitischen Entwicklungen rund um die Welt spielen dem deutschen U-Bootbau in die Hände. Mit dem Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte aus der Gruppe der aufstrebenden Schwellenländern beginnen sich die Machtbalancen auf den Weltmeeren grundlegend zu verändern. Spannungen in Regionen wie dem Südchinesischen Meer oder vor dem Horn von Afrika hat viele Länder dazu bewogen, mehr Geld in ihre Marine zu stecken, während die Budgets für Landstreitkräfte und Luftwaffe oftmals gekürzt werden.

Singapur, Japan, Australien und Südkorea wollen ihre konventionellen U-Boot-Flotten erneuern. Andere Länder wie Vietnam kaufen derzeit erstmals U-Boote. Ein konventionell betriebenes U-Boot ist nach Angaben aus Branchenkreisen schon für weniger als 600 Millionen US-Dollar zu haben. Dafür bekämen kleinere Länder ein mächtiges und schwer aufzuspürendes Waffensystem, um größere Marinemächte herauszufordern, sagte Pieter Wesemann vom Stockholm International Peace Research Institute (Sipri). Hinter vorgehaltener Hand gelten U-Boote neuester Bauart etwa auch als Mittel der Wahl, um die sehr viel teurere Übermacht der Flugzeugträger in Schach zu halten.

Wochenlang unter Wasser

Wenn Saab es schaffen sollte, ein eigenes U-Boot-Geschäft aufzubauen, könnte die neue Konkurrenz das Geschäft von ThyssenKrupp hart treffen. Die Tochter "Marine Systems" gilt derzeit als einer der wenigen belastbaren Standbeine des hoch verschuldeten Dax-Konzerns. Im traditionellen Stahlgeschäft kämpft ThyssenKrupp mit erheblichen Schwierigkeiten.

In Schweden sind die U-Boote längst ein Politikum: Nach Informationen der schwedischen Boulevardzeitung "Expressen" will Außenminister Carl Bildt statt der ursprünglich geplanten zwei nun fünf neue U-Boote für Schwedens Marine in Auftrag geben - eine Investition von fast zehn Milliarden Kronen (umgerechnet 1,12 Milliarden Euro).

Schweden, das unter anderem an der Entwicklung neuer, geräuschgetarnter U-Boote mit der Bezeichnung A26 beteiligt ist, wollte eigentlich ThyssenKrupp mit dem Bau von zwei neuen Exemplaren und der Modernisierung einiger bestehender U-Boote beauftragen. Streitigkeiten über den Preis und die U-Boot-Exporte haben die Regierung jedoch dazu bewogen, ihre Pläne zu ändern, heißt es nun aus Stockholm.

"Wir haben das Angebot von ThyssenKrupp geprüft, und wie es jetzt aussieht, gibt es keinen Grund, eine Bestellung aufzugeben", sagte zum Beispiel Louise Wileen Bjare, eine Sprecherin des zuständigen Materialamtes FMV. Die Behörde betreut für das schwedische Verteidigungsministerium alle Fragen der Wehrbeschaffung.

ThyssenKrupp bietet Verhandlungen an

Bei ThyssenKrupp läuten die Alarmglocken: Um den lukrativen und geschäftsstrategisch bedeutsamen Schweden-Auftrag doch zu retten, ist der Chef von ThyssenKrupp Marine Systems in Deutschland, Hans Christoph Atzpodien, vergangene Woche mit FMV-Vertretern zusammengekommen. Nach dem Treffen, das bei FMV offenbar keinen Stimmungswandel erzeugte, gingen die Deutschen sogar so weit, der schwedischen Seite Verhandlungen "ohne Vorbedingungen" anzubieten.

Neue Erfolge könnte der deutsche U-Bootbau gut gebrauchen: Ende vergangenen Jahres hatte ThyssenKrupp einen Großauftrag aus Singapur über zwei U-Boote erhalten. Wie aus Berichten singapurischer Medien hervorging, beläuft sich das Ordervolumen auf mehr als 1 Milliarde US-Dollar. Der Stadtstaat war zuvor ein Großabnehmer schwedischer U-Boote.

Aus der Sicht Stockholms war genau das allerdings eine klare Provokation: Was die Schweden dabei offenbar so verärgert, ist, dass ThyssenKrupp nun plant, die neuen Boote in seiner deutschen Werft zu bauen und nicht an den Standorten in dem skandinavischen Land. Damit dreht sich der deutsch-schwedische Konflikt letztlich um den Erhalt tausender hoch spezialisierter Arbeitsplätze vor Ort.

Beide Seiten sehen sich damit mit einem Grundproblem der Hightech-Rüstungsindustrie konfrontiert: Um einen solchen Wirtschaftszweig profitabel zu betreiben, braucht es entweder kontinuierliche Rüstungsaufträge aus dem eigenen Staatshaushalt - oder eine möglichst uneingeschränkte, großzügig geförderte Rüstungsexportpolitik.

Standortvorteile in Deutschland?

Die Hintergründe rund um den Singapur-Auftrag wollte man ThyssenKrupp zunächst nicht weiter kommentieren. Aus dem Umfeld der Konzernsparte hieß es, ThyssenKrupp könne mit dem U-Bootbau in Deutschland höhere Gewinne erzielen als im Fall einer Verlagerung nach Schweden.

Die Entscheidung zieht nun allerdings Konsequenzen nach sich: Nachdem die schwedische Beschaffungsbehörde FMV vergangenen Monat die Arbeit am Projekt A26 von ThyssenKrupp abgezogen hatte, teilte sie außerdem mit, dass sie Saab beauftragt hat zu prüfen, wie Schweden seine U-Boot-Kapazitäten langfristig aufrechterhalten kann.

Das schwedische Wehrbeschaffungsamt gab zunächst offenbar nur eine Art Machbarkeitsstudie bei Saab in Auftrag. Berichten zufolge soll Saab klären, wie der technologische Unterwasser-Bereich in Schweden gestärkt werden könne. Zuvor hatten unter anderem die "Kieler Nachrichten" berichtet, es solle geklärt werden, ob Saab Schwedens Marine mit einer neuen Generation von U-Booten versorgen könnte.

Saab begann daraufhin, schwedische Ingenieure von ThyssenKrupp abzuwerben. "Es gibt jeden Tag Anzeigen in der Lokalpresse der Orte, an denen die Ingenieure arbeiten", sagte John Ahlmark, Kommunikationschef von ThyssenKrupp Marine Systems in Schweden. ThyssenKrupp hat ein Team von 230 U-Boot-Ingenieuren im südschwedischen Malmö, fügte er hinzu.

Bieterschlacht um U-Boot-Spezialisten

Saab-Sprecher Sebastian Carlsson sagte, sein Unternehmen habe bereits acht Ingenieure abgeworben. "Die Rekrutierung läuft weiter", fügte er hinzu. Von ThyssenKrupp hieß es, Saabs "offensichtliche" Versuche, Schlüsselpersonal von den schwedischen Standorten abzuwerben, könnte die Fähigkeit des Landes, U-Boote zu bauen, insgesamt gefährden. Alle Mitarbeiter in Schweden bekämen finanzielle Anreize geboten, damit sie bleiben.

ThyssenKrupp hatte den schwedischen U-Boot-Bauer Kockums 2005 beim Kauf des deutschen Rivalen Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) aus Kiel im Paket miterworben. HDW hatte Kockums bereits 1999 übernommen. Das schwedische Unternehmen Kockums war zuvor wie ThyssenKrupp auf den Bau konventionell angetriebener U-Boote spezialisiert, die wie ihre deutlich teureren nuklearbetriebenen Alternativen wochenlang unter Wasser bleiben können.

Ein neuer Konkurrent entsteht

Der Bau von U-Booten gilt als hochkomplex. Neben den konstruktiven Anforderungen großer räumlicher Enge und hohen Wasserdrucks müssen Ingenieure auch die militärischen Vorgaben wie größtmögliche Geräuschabschirmung und Sonarabstrahlung berücksichtigen.

Der Einstieg in die eigenständige und von ThyssenKrupp losgelöste Produktion bezeichnen Analysten daher auch mit gutem Grund als sehr ehrgeizige Aufgabe für Saab. Allerdings verfügt der schwedische Konzern bereits über reichlich Erfahrungen mit hochentwickelten Waffensystemen. Saab baut unter anderem einen der wenigen Kampfjets neuer Generation, den "Gripen". Darüber hinaus besitzen die Schweden reichlich Erfahrungen mit einer ganze Reihe fortschrittlicher Technologien aus den Bereichen Navigation, Überwasserschiffbau und maritimer Sensortechnik.

Wenn die Schweden mit dem Aufbau eigenständiger U-Bootbau-Kapazitäten Erfolg haben, könnten sie nicht nur ThyssenKrupp aus dem schwedischen Markt verdrängen, sondern zu einem weiteren Rivalen des deutschen Stahl- und Rüstungskonzerns auf dem Weltmarkt aufsteigen. Die steigende Nachfrage nach Marineausrüstung bedeute, dass es ein guter Markt wäre für Saab, um dort einzusteigen, bestätigte Peter Roberts vom Royal United Services Institute, einer britischen Denkfabrik für Verteidigungs- und Sicherheitsfragen, eine gängige Markteinschätzung.

Die ThyssenKrupp-Sparte Marine Systems (TKMS) erzielte im Geschäftsjahr 2012/2013 einen Umsatz von 1,3 Milliarden Euro. TKMS, zu dem die frühere Werft HDW in Kiel gehört, ist im konventionellen U-Bootbau mit dem exklusiven, kaum zu ortenden Brennstoffzellenantrieb Weltmarktführer.

Quelle: ntv.de, mmo/DJ/dpa

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