Wirtschaft

Stichwort "Baseline Study" Google steigt in die Genforschung ein

Wie sieht ein gesunder Mensch aus? Dieser Frage will Google auf den Grund gehen und sammelt anonym genetische Informationen von 175 Menschen. Weitere Personen sollen folgen. Ein Gedanke schreckt dabei auf.

Der Internetkonzern Google plant eine Reise ins Innere des menschlichen Körpers. Dieses Projekt dürfte sich als das ehrgeizigste und schwierigste Wissenschaftsprojekt der Kalifornier entpuppen. Das Vorhaben läuft unter dem Stichwort "Baseline Study" und sammelt anonym genetische und molekulare Informationen von 175 Menschen. Zu einem späteren Zeitpunkt will Google dann Tausende weitere Personen mit einbeziehen. Googles Hoffnung: Es soll das bisher kompletteste Abbild entstehen, wie ein gesunder Mensch aussieht.

Das noch in den Kinderschuhen steckende Projekt leitet der 50-jährige Molekularbiologe Andrew Conrad, ein Pionier der Entwicklung von billigen Massentests auf HIV in Blutplasmaspenden. Conrad stieß im März 2013 zu Google X, dem Forschungsarm des Konzerns. Er hat schon ein Team von 70 bis 100 Experten aufgebaut - auf Feldern von der Physiologie über die Biochemie und Optik bis zu bildgebenden Verfahren.

In Richtung Prävention

Medizinische Studien und Genomstudien des menschlichen Körpers existieren zwar bereits. Baseline soll aber eine größere und breiter angelegte Masse von Daten erheben. Das Ziel: Forschern soll dabei geholfen werden, potenzielle Krankheiten wie Herzprobleme und Krebs weitaus früher aufzudecken. Die Mediziner würden sich damit stärker in Richtung Prävention hinbewegen und weniger auf die reine Behandlung von Krankheiten setzen.

"Bei jedem komplexen System ist die Grundidee immer, Probleme proaktiv anzugehen", betont Conrad. "Das ist nicht revolutionär. Wir stellen nur eine entscheidende Frage: Wenn wir wirklich proaktiv sein wollen, was müssen wir dann wissen?"

Auf der Suche nach "Biomarkern"

Das Projekt beschränkt sich nicht auf einzelne Krankheiten. Es sammelt hunderte unterschiedliche Proben unter Verwendung neuer Diagnostikwerkzeuge. Dann setzt Google seine gigantischen Rechnerkapazitäten ein, um Muster - sogenannte "Biomarker" - aufzudecken. Dank dieser Biomarker soll es Medizinern möglich werden, Krankheiten weitaus früher als bisher zu entdecken.

Die Studie könnte etwa einen Biomarker bei Menschen finden, die fettiges Essen effizienter verdauen und deshalb eine längere Zeit ohne hohe Cholesterinwerte und Herzkrankheiten leben. Anderen Menschen könnte es an dieser genetischen Prädisposition mangeln, sie laufen Gefahr, frühzeitig einer Herzattacke zu erliegen. Sobald Baseline den Biomarker identifiziert hat, könnten Forscher überprüfen, ob anderen Menschen diese Eigenschaft fehlt. Diese Erkenntnis könnte es diesen Betroffenen ermöglichen, ihr Verhalten entsprechend zu ändern.

Großer Sprung ins Ungewisse

Google hat bereits eines der größten Netzwerke von Rechner- und Datenzentren der Welt aufgebaut. Diese dienen dazu, Online-Suchergebnisse schnell zu präsentieren und datenhungrige Dienste wie die Video-Webseite YouTube zu betreiben. Inzwischen kann diese Rechnerkraft auch dazu verwandt werden, medizinische Informationen abzuspeichern und zu analysieren. Sie können Forschern schnell und umgehend bereitgestellt werden.

Die bisher entdeckten Biomarker verweisen auf Krankheiten im Endstadium, da die Studien sich meist auf kranke Patienten konzentrieren. Zugleich waren die Resultate mit diesen Markern hierbei allenfalls durchwachsen, so der Forscher Sam Gambhir von der Stanford University.

Das gesamte Projekt sei ein großer Sprung ins Ungewisse, räumen Conrad und Gambhir ein, die zusammenarbeiten. Das liegt daran, dass der menschliche Körper so komplex ist. Ziemlich wenig ist bekannt über das Zusammenspiel von DNA, Enzymen und Proteinen und wie Umweltfaktoren - zum Beispiel Diäten - hierauf Einfluss nehmen. Der Vorstoß könnte auch Biomarker aufdecken, die Forschern nur wenig über Krankheiten verraten.

Conrad rechnet sowieso nur mit Fortschritten in kleinen Schritten. "Er hat verstanden, dass es kein Softwareprojekt ist, das in ein oder zwei Jahren vorüber ist", betont Gambhir. "Wir sprachen über Krebstherapien und wie wir diese Krankheit in ein paar Jahren heilen werden. Allerdings lernten wir dabei, uns nicht mehr so einfach zu viel vorzunehmen." Die Informationen von Baseline sollen anonym sein, bekräftigt Google. Sie werden nur für medizinische Zwecke verwandt. Auch Versicherungskonzerne würden nicht an die Daten gelangen.

Was macht Google mit den Daten?

Trotzdem schreckt der Gedanke auf, dass Google so viel über die Struktur von Tausenden menschlicher Körper erfährt. Künftig werden solche Daten ungemein wertvoll für Versicherer sein, die gerne ihre Risiken verringern wollen. Zudem können die Daten für ernüchternde Zwecke verwendet werden - etwa vor Bewerbungsgesprächen oder gar Heiratsanträgen.

Baseline lief diesen Sommer mit Hilfe einer Firma für klinische Tests an. 175 Menschen wurden durchleuchtet, wobei das Unternehmen unter anderem Körperflüssigkeiten wie Urin, Blut, Speichel und Tränen abnahm. Conrad wollte den Namen der Firma nicht preisgeben. Conrads Team wird die Ergebnisse dieser Pilotstudie analysieren und ein weitaus größeres Projekt mit der Duke und Stanford-Universität anstoßen, bei dem Tausende Menschen involviert sein werden.

Die von den Probanden erhobenen Informationen haben es in sich. Sie umfassen das gesamte Genom der Teilnehmer, die genetische Geschichte ihrer Eltern ebenso wie Informationen zum Nahrungs-Stoffwechsel. Die Daten zeigen auch, wie schnell das Herz unter Stress schlägt und wie chemische Reaktionen das Verhalten der Gene ändern.

Außerdem will Google X mit Hilfe von tragbaren Geräten kontinuierlich Patientendaten wie Herzrhythmus und Sauerstoffgehalt erheben. Baseline-Teilnehmer werden wohl intelligente Kontaktlinsen tragen, die von den Forschern extra entwickelt wurden, um Glukose-Niveaus für die Studie laufend zu beobachten, so Conrad.

Google forscht breit

Bis vor kurzem war solche Art Forschung zu teuer und zeitaufwändig. Aber die Kosten sind in letzter Zeit markant gefallen. Die Sequenzierung des menschlichen Genoms kostet nur noch 1.000 US-Dollar. Anfang der 2000er waren es noch 100 Millionen Dollar. Enorme Rechnerkapazitäten ermöglichen auch eine viel schnellere Suche nach Mustern in dem erhobenen Datenberg.

Baseline ist das aktuellste Projekt, das Google stemmt. Zu anderen Vorhaben zählen selbstfahrende Autos, Computerbrillen oder Internetdienste, die von hochfliegenden Ballons aus operieren. Anders als bei anderen Google-X-Projekten soll Baseline auch langfristig keinen Gewinn abwerfen.

  Allerdings stößt Google mit dem Vorhaben tiefer als bisher ins Gesundheitswesen vor. Die Branche dürfte 2017 knapp 11 Billionen Dollar umsetzen, schätzen Forscher der Freedonia Group. Durch Googles ehrgeiziges Projekt dürften Berge neuer Informationen entstehen, meint Conrad. Diese Tatsache vertrage sich gut mit Googles eigentlicher Mission, alle Informationen der Welt zusammenzutragen und universal zugänglich zu machen. "Wir sollten keine Abstriche an unserer Mission machen und das Gesundheitswesen nicht von vornherein außenvorlassen", argumentiert Conrad

Quelle: ntv.de, Alistair Barr, DJ

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