Wirtschaft

"Bewegt euch schneller!" Funktioniert SAP auch ohne Visionär?

SAP ist im Umbruch - im doppelten Sinn. Geschäftlich zieht es Europas größten Softwarekonzern stärker in die Cloud. Personell erleidet das Unternehmen einen bisher nicht gekannten Aderlass. Das wirft einige Fragen auf, auch an Hasso Plattner.

Vishal Sikka, Ex-Innovationschef von SAP

Vishal Sikka, Ex-Innovationschef von SAP

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Aderlass im Top-Management trifft den Softwareriesen SAP in einem heiklen Moment. Der Dax-Konzern aus Walldorf stellt sich derzeit neu auf und setzt verstärkt auf das Geschäft mit Mietsoftware über das Internet. Da kommt der Weggang von Innovationschef Vishal Sikka, der als Visionär der IT-Schmiede galt, zur Unzeit. Umso mehr richten sich wieder alle Augen auf SAP-Gründer und Aufsichtsratschef Hasso Plattner. Der 70-jährige, passionierte Segler, der Sikka aufgebaut hatte, muss nun die Rolle des Vordenkers wieder alleine spielen. "Hasso Plattner lebt die Rolle des Visionärs - er ist so wichtig für SAP wie Steve Jobs für Apple und Bill Gates für Microsoft", sagte ein früherer SAP-Manager.

Der ab dieser Hauptversammlung allein an der Spitze stehende Vorstandschef Bill McDermott ist kein technisches Mastermind, sondern der beste Verkäufer, den SAP hat. Im Ausscheiden Sikkas sieht McDermott kein Problem. Nach dem Verlust des Visionärs setzt SAP eben auf das Team von Entwicklern, das schon lange in Sikkas medialem Schatten stand. "Wir haben einige der unglaublichsten Innovatoren unserer Generation", sagte McDermott. Auf der nächsten Kundenmesse Sapphire am 3. Juni in Orlando/Florida sollen sie ins Rampenlicht geschoben werden.   

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Die Branche war unterdessen schockiert über Sikkas Abgang. "Das ist ungewöhnlich für die Company, SAP war früher ein Hort der Stabilität", sagte der Manager eines an SAP beteiligten Fonds, der nicht namentlich genannt werden will. In Sikka setzten viele die Erwartung, er könne in die Fußstapfen von Plattner als Visionär der Firma treten. Sein Abschied gilt als großer Verlust. Sikka prägte den Ausbau der Datenbanktechnik Hana - eine wichtige Eigenentwicklung von SAP, mit der enorme Datenmengen in Echtzeit verarbeitet werden können. Nun sei der gebürtige Inder gegangen, weil er den gerade frei gewordenen Platz als Co-Chef neben McDermott habe besetzen wollen. Doch Plattner, der als Berater der Entwickler in Walldorf kräftig mitmischt, habe die operative Führung des Konzerns dem Amerikaner McDermott allein überlassen wollen.

SAP im Umbruch

Es war der vierte Ausstieg innerhalb eines Jahres: Personalchefin Luisa Delgado kehrte SAP im Mai den Rücken. Der Chef des Cloud-Geschäfts Lars Dalgaard, erst Ende 2011 durch die Übernahme des Personalmanagement-Anbieters SuccessFactors zu SAP gekommen, schied aus familiären Gründen aus. Und schließlich warf im Juli der Däne Jim Hagemann Snabe hin, der seit 2010 Vorstandschef neben McDermott war. Auch er entschied sich laut SAP seiner Familie zuliebe dafür, den reiseintensiven Job aufzugeben.

Offiziell bestritten wird die Theorie, er habe sich geärgert, weil Plattner ihm die Leitung der Entwicklung abgenommen und Sikka gegeben hatte. Snabe soll SAP jetzt zumindest als Aufsichtsrat erhalten bleiben. Demnächst geht auch noch der langjährige Finanzchef Werner Brandt in Rente.

Gewinn steht in den Wolken

Die Unruhe an der Spitze erwischt den Weltmarktführer für Firmensoftware mitten im größten Umbruch seiner Geschichte: Neben dem klassischen, aber rückläufigen Verkauf von Software-Lizenzen soll das Geschäft mit Mietsoftware über das Internet als Gewinnbringer aufgebaut werden. Die Umstellung auf Cloud-Produkte bremst wegen der auf mehrere Jahre verteilten Einnahmen den Gewinnzuwachs. Zudem werden rund 2000 der insgesamt 67.000 Jobs überflüssig, während einem Insider zufolge etwa 3000 Stellen für Cloud-Dienste entstehen sollen in diesem Jahr.  

Kurzfristig werde SAP von seinem Wachstumskurs nicht abkommen, auch wenn McDermott jetzt mit drei neuen Vorstandskollegen antrete, sagte der Fondsmanager. Da alle Neuen erfahrene SAPler seien und die Strategie stehe, sei der Wechsel an der Spitze nicht optimal, aber kein Hindernis. Hana, von Sikka "my little girl" genannt, könne jetzt ohne ihn laufen, so ein Insider.

Groß sind die Fragezeichen aber, was die längerfristige Innovationskraft von SAP betrifft. Mit seinen 70 Jahren sei Plattner dynamisch und technologisch weitblickend wie eh und je, sagte der Fondsmanager. "Es besteht aber die Sorge, ob eine Lücke entsteht, wenn er aus Altersgründen aufgibt." Und ein Insider merkte an: "Bei allen Ecken und Kanten - aber das werden eines Tages schwere Zeiten ohne ihn."

Innovationen auf breitere Basis

Plattner stößt allerdings nicht nur auf Begeisterung in seinem Unternehmen, das ihm zu fast zehn Prozent gehört. Viele Mitarbeiter waren im vergangenen Jahr irritiert, als Plattner zum wiederholten Male über die Schwerfälligkeit bei SAP klagte und der "Spiegel" ihn mit den Worten zitierte: "Manchmal will ich die Entwickler packen und schütteln und anschreien: Bewegt euch schneller!"

Nach Ansicht eines Ex-Managers sind derlei Provokationen notwendig, um die Mitarbeiter dazu zu zwingen, anders zu denken. Seiner Einschätzung nach muss der Innovationsprozess auf eine breitere Basis gestellt oder ein neuer Vordenker gefunden werden. Derzeit gebe es in dem Konzern noch nicht genug kreative Köpfe für das Cloud-Geschäft - und die mit diversen Übernahmen eingestiegenen Spitzenkräfte wie Dalgaard, Bob Calderoni oder Shawn Price seien schon wieder gegangen. "Für die ist der Riesenkonzern mit seinen Absprachen und Richtlinien eine manchmal sicherlich demotivierende Erfahrung, so dass sie nach ein, zwei Jahren die Lust verlieren", erklärte der Insider.

Dem Gründervater sei das drohende Vakuum dennoch bewusst, ist der frühere Manager sicher. "Hasso Plattner wird weiter auf der Suche sein nach dem Innovator - es wird Zeit dafür." Und auf längere Sicht, räumte auch McDermott ein, könne auch wieder ein Technik-Genie als gleichberechtigter Chef an seiner Seite stehen. "Wir haben die Vision eines Netzwerks von Chef-Technikern - wir werden sehen, wie sich das entwickelt und vielleicht übernimmt dann einer diese Rolle."

Quelle: ntv.de, Ilona Wissenbach, rts

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