Wirtschaft

Umsiedelung der EU-Behörden Europas Staaten wetteifern um Brexit-Beute

Wohin geht die Reise?

Wohin geht die Reise?

(Foto: picture alliance / Facundo Arriz)

Die EU-Bankenaufsicht und die Arzneimittelbehörde EMA müssen wegen des Brexits von London aufs Festland umsiedeln. Montag entscheidet sich, wohin die Reise geht. Die Schlange der Bewerber ist lang. Zeit für "Hinterzimmerdeals".

Nach monatelanger Vorbereitung ist es am Montag so weit: Die EU-Staaten entscheiden über die künftigen Standorte von zwei europäischen Behörden, die wegen des Brexits Großbritannien verlassen müssen. Deutschland ist mit Frankfurt am Main für die EU-Bankenaufsicht im Rennen und mit Bonn für die europäische Arzneimittelbehörde. Prognosen wagt in Brüssel im Vorfeld niemand - auch wegen des Wahlverfahrens, das durchaus einen Überraschungssieger liefern könnte.

Das Bewerberfeld ist vor allem für die Arzneimittelbehörde EMA riesig: Insgesamt 19 Länder haben sich beworben, darunter Italien mit Mailand, die Slowakei mit Bratislava, die Niederlande mit Amsterdam oder Frankreich mit Lille. Spanien ist ausgerechnet mit Barcelona am Start - und muss nun fürchten, dass die Wirren um den Katalonien-Konflikt seine Chancen schmälern.

Bei der Bankenaufsicht EBA hat Frankfurt sieben Konkurrenten: Brüssel, Dublin, Luxemburg, Paris, Prag, Warschau und Wien. Neben Deutschland haben sich fünf weitere Länder gleich um beide Agenturen beworben: Belgien, Frankreich, Irland, Österreich und Polen. Nach den Regeln kann ein Land aber maximal eine Behörde bekommen.

Hinterzimmerdeals und Kuhhandel

Seit Monaten werben die Länder mit Hochglanzbroschüren und Multimedia-Präsentationen um die Brexit-Beute. Vor der Abstimmung der Europaminister am Montag werden eifrig Allianzen geschmiedet. Auch in den Pausen zwischen den Wahlrunden am Montag dürfte es je nach Entwicklung Hinterzimmerdeals geben.

"Ein solcher Prozess läuft natürlich nie ohne Absprachen", sagt ein Diplomat. "Erstaunliche Kuhhandel" gebe es da hinter den Kulissen, raunt eine EU-Vertreterin, hüllt sich zu Details aber in Schweigen.

Die italienische Verteidigungsministerin Roberta Pinotti musste jedenfalls jüngst dementieren, dass Rom den Baltischen Staaten versprochen hat, bei einem Zuschlag für Mailand bei der Arzneimittelbehörde sein Militärkontingent in Osteuropa zu erhöhen - die Nato hat dort nach der Annexion der Krim durch Russland Kampfbataillone stationiert.

Der Druck auf die 27 Mitgliedstaaten ist auch wegen des Wahlverfahrens groß, das manche an den Eurovision Song Contest erinnert. In der ersten Runde muss jedes Land sechs Punkte vergeben: drei für den bevorzugten Standort, zwei für den zweitbesten und einen für den drittbesten. Bekommt keine Stadt durch mindestens 14 Länder drei Punkte, gibt es eine zweite Runde mit den drei Bestplatzierten - bei Punktgleichheiten gegebenenfalls auch mit mehr Städten.

In der zweiten Runde hat jede Regierung dann nur noch eine Stimme - ebenso bei einem möglichen Stechen in einer dritten Runde. Gibt es auch dann keinen Sieger, entscheidet das Los.

Null Punkte für Deutschland?

Die Bundesregierung ist von dem Verfahren nicht begeistert. Auch andere große Länder fürchten, sie könnten im ersten Wahlgang rausfallen. Denn dort würden viele voraussichtlich "taktisch abstimmen", sagt ein Diplomat. "Sie geben sich selber drei Punkte, aber verteilen die restlichen Punkte auf Standorte, denen wenig Chancen eingeräumt werden." Mutmaßliche Favoriten könnten damit auf der Strecke bleiben.

"Wir könnten uns mit Conchita Wurst oder Abba wiederfinden", witzelte bereits im Juni ein EU-Vertreter mit Blick auf den ungewissen Ausgang und die Eurovision-Gewinner von 2014 und 1974.

Die Vertreter der Mitgliedstaaten lassen deshalb nichts unversucht, um ihre Chancen auszuloten - und bemühen auch mathematische Modelle zur Ergebnisvorhersage. "Sie können sicher sein, dass unser Ministerium für Spieltheorie das alles durchgerechnet hat", sagt ein Diplomat zunächst scherzhaft, fügt aber dann hinzu, dass gerade wegen solcher Situationen die Spieltheorie durchaus Teil der "Diplomatenausbildung" sei.

Quelle: ntv.de, ddi/AFP

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