Wirtschaft

Autoexperte Helmut Becker im Interview "2014 wird ein Auto-Boomjahr"

Mercedes-Benz-Studie zum S-Coupe, das 2014 auf den Markt kommen soll.

Mercedes-Benz-Studie zum S-Coupe, das 2014 auf den Markt kommen soll.

Die Automobilindustrie prognostiziert ein Jahr der Erholung, angetrieben vor allem vom Wachstum in China und den USA. Es geht aber noch deutlich positiver. Aber welche Hersteller profitieren? Wer kommt unter die Räder? Und wohin fährt das deutsche Premium-Trio 2014?

Die Automobilindustrie prognostiziert ein Jahr der Erholung, angetrieben vor allem vom Wachstum in China und den USA. Es geht sogar noch deutlich positiver. Aber welche Hersteller profitieren von dem breiten Absatzaufschwung? Wer kommt unter die Räder? Und wohin fährt das deutsche Premium-Trio 2014? Die Antworten liefert n-tv.de Autoexperte und Ex-BMW-Chefvolkswirt Helmut Becker.

n-tv.de: Herr Becker, Ihrer Meinung nach war das Autojahr 2013 kein allzu schlechtes - vor allem für die deutschen Hersteller. Für 2014 prognostiziert etwa der Branchenverband VDA eine weitere Erholung. Was ist Ihrer Meinung nach 2014 zu erwarten?

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Auch meine Prognose sieht eine weitere Erholung voraus. Die Frage ist nur: Wie intensiv geht diese vonstatten? Und da weiß ich aus meiner Zeit als Chefvolkswirt von BMW, dass die Fach-Auguren Wendepunkte nicht nur nach unten, sondern auch nach oben regelmäßig verpassen und den anschließenden Aufschwung unterschätzt haben. Das war 1975 so, 1982, 1993 und 2003. Das wird auch 2014 so sein. Ich glaube daher fest an eine kräftige Markterholung 2014.

... in Deutschland und Westeuropa?

Ja, sowohl in Deutschland als auch in Westeuropa. In Westeuropa sogar noch stärker als hier bei uns, weil vor allem in der "Südschiene" die Markteinbrüche in den Vorjahren drastisch waren.

Und auf den Märkten in Übersee, allen voran in China und den USA, wie sieht es da 2014 aus?

Dort - sowohl in China als auch den USA - geht die positive Entwicklung weiter, wenn auch weniger dynamisch als zuvor, in China wegen schwächerer gesamtwirtschaftlicher Wachstumsimpulse, in den USA wegen des Endes des Nachholprozesses aus der vorangegangenen Rezession. Alles aber kein Grund zur Beunruhigung!

Erholung in Europa, weiteres Wachstum in China und den USA: Das klingt ja fast nach einem Boomjahr für die Automobilindustrie?

Aus globaler Sicht auf alle Fälle, weil im laufenden Jahr alle wichtigen Märkte konjunkturell in die gleiche Richtung laufen und sich dabei die Wachstumsimpulse gegenseitig verstärken. Da kann man getrost von einem Automobilboom sprechen.

Die treibenden Kräfte dabei bleiben China und die USA?

Nein, das stimmt nur noch zum Teil, weil Westeuropa als dritte Automobilregion von Gewicht zu neuem Leben erwacht. Wobei die Vorzeichen dennoch verschieden bleiben: Chinas Automarkt boomt, weil das Land noch ein Nachzügler in der Automobilisierung ist, die Bürger haben diesbezüglich einen Nachholbedarf. Ähnlich ist es beispielsweise auch in Indien, Russland oder Brasilien. Da ist der Grundbedarf noch bei Weitem nicht gedeckt, die Märkte wachsen entsprechend der Einkommens- und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. In den USA ist der Automarkt,  wie in Europa übrigens auch, zwar insgesamt fast gesättigt, aber je nach Konjunkturlage eben zum Teil heftigen Schwankungen unterworfen. Je heftiger der Einbruch, desto kräftiger die anschließende Absatzerholung. In den vergangenen Jahren hat sich in den USA und in Europa ein enormer Bedarf angestaut, der sich 2014 und noch bis in 2015 hinein lösen wird.

Global mutiert diese Erholung deshalb zum Boom, weil sie plötzlich in allen Erdteilen gleichzeitig in die gleiche Richtung nach oben läuft, also kumuliert. Und die deutschen Hersteller und Zulieferer befinden sich mit ihren Premium-Produkten mitten im Auge dieses Nachfragetaifuns.

Wie viele Autos werden denn weltweit 2014 abgesetzt?

Nach meiner Schätzung werden es so um die 75 bis 76 Millionen Pkw sein. Alles in allem werden wir also ein Wachstum von um die 5 Prozent realisieren können, viel mehr geben die relevanten Kapazitäten auch nicht her. In der Mehrzahl der deutschen Werke wird also 2014 Volllast gefahren.

Und in Deutschland? 2013 waren es hierzulande ja rund 2,93 Millionen Neuzulassungen.

Wir werden in diesem Jahr deutlich über die Drei-Millionen-Marke kommen. Ich schätze, es können bis zu 3,2 Millionen Neuzulassungen werden, alles in allem also ein Plus von 7 bis 10 Prozent.

Die Top 3 in der Automobilwelt sind seit Jahren GM, Toyota und VW. Wird sich daran 2014 etwas ändern? Wird es eine Überraschung geben?

Nein, an den Spitzenpositionen in der Weltautomobilproduktion nach Herstellern wird sich dieses Jahr nichts ändern. Toyota wird die Nummer 1 bleiben vor GM und Volkswagen. Die Wolfsburger bleiben hinter der Konkurrenz zurück, weil die Kernmarke auf dem wichtigen US-Markt bisher nicht die Wachstumserwartungen erfüllen konnte. Daran ändern kurzfristig auch Personalrochaden nichts, weil VW einfach für den US-Markt das falsche Angebot hat.

Wie schaut es bei den Premiumherstellern aus? 2013 liegt BMW nach absoluten Zahlen vorn, allerdings wächst Mercedes am dynamischsten. Audi positioniert dazwischen. Wie geht es 2014 bei den dreien weiter?

Auch da sehe ich keine grundlegenden Veränderungen. BMW wird die Nummer 1 bleiben vor Audi und Mercedes-Benz. Allerdings könnte es sein, dass sich der Abstand zwischen den beiden bayerischen Konkurrenten noch einmal vergrößern wird, da bei Audi die wirklich durchgreifenden Innovationen, also die Impulse fehlen. Das erlaubt gleichzeitig auch Daimler mit seiner Produktoffensive wieder stärker an die Spitzengruppe heran zu fahren.

Die deutschen Autobauer haben 2013 das Thema E-Mobilität deutlich forciert - ein Trend, der sich 2014 fortsetzen wird?

Ja, der Trend zur Hybridisierung, also der Kombination von Verbrennungsmotor mit Elektroantrieb, geht weiter - allerdings von einem sehr niedrigen Niveau aus. Das Dumme ist halt nur, dass den deutschen Ingenieuren bei den herkömmlichen Verbrennungsmotoren immer wieder fulminante Innovationen einfallen, die die Attraktivität von alternativen Antrieben im Zaum halten. Als Beispiel dafür lassen sich neue Einspritztechnologien mit Laserdüsen anführen, die 2013 mit dem deutschen Innovationspreis gewürdigt wurden. Kraftstoffeinsparungen von bis zu 20 Prozent könnten so realisierbar gemacht werden - ohne Leistungseinbußen! Dagegen hat das E-Mobil vorerst keine Chance.

Was ist denn 2014 zu erwarten? Allein VW hat ja zig Milliarden an Investitionen angekündigt …

(Lacht) Investitionsprogramme ankündigen und sie dann durchführen - schon das sind zwei verschiedene Schuhe. Ja, Volkswagen ist einer Untersuchung zufolge das Unternehmen weltweit, das am meisten investiert. Respekt! Allerdings: Daran gemessen, muss man sehr genau hinschauen, was am Ende dabei herauskommt. Es geht nicht um die absolute Summe der Investitionen, sondern darum, wie innovativ und produktiv die Ergebnisse sind. VW pusht derzeit "Bau, Steine, Erden", stampft unablässig Werke in China und sonst wo aus dem Boden. Auch wenn ich kein Invest-Insider bin sondern mir nur die VW-Produkpalette anschaue, drängt sich mir der Eindruck auf, dass bei VW vergleichsweise wenig Kapital in das Produkt selbst oder technische Innovationen fließen.

Daimler macht es anders und kauft sich in den chinesischen Markt ein, umgekehrt versuchen die Chinesen über Zukäufe und Übernahmen im Ausland Fuß zu fassen. Wird es 2014 das erste wirkliche China-Modell hierzulande geben?

Nein, ein reines und originäres China-Modell wird hierzulande kaum auf den Straßen fahren. Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass wir hier einen ganz anderen, sagen wir salopp, Autogeschmack haben, als den, den die Chinesen bieten können. Hightech, Qualität, Premium - das können die Chinesen noch lange nicht.

Nichtsdestotrotz werden die chinesischen Hersteller durch ihren eigenen Markt gepusht, der im laufenden Jahr auf 18 Millionen Neuzulassungen wachsen wird. Zum Vergleich: Die USA werden auf mehr als 16 Millionen Autoabsatz kommen. Damit wird China dauerhaft der mit Abstand größte Autoabsatzmarkt der Welt. Und die heimischen Hersteller werden sich deshalb auch auf den Heimatmarkt fokussieren und nicht auf den Export. Das wird auch noch lange Zeit so bleiben.

Was haben denn die europäischen Massenhersteller von diesem Autojahr zu erwarten?

Da der europäische Absatzmarkt sich nach langer Durststrecke wieder deutlich erholen wird, werden auch die kriselnden Massenhersteller wie PSA, Renault, Opel oder Fiat an der Erholung partizipieren. Und das ist für alle Beteiligten - Unternehmen, Belegschaften, Regierungen - auch gut so. Nichts ist schlimmer für Europa als ein angeschlagenes Automobilunternehmen mit nationalem Symbolcharackter.

Allerdings kann von einer langfristigen strukturellen Entspannung bei den einzelnen Unternehmen keine Rede sein: Das Hauen und Stechen untereinander geht weiter, denn der europäische Markt ist gesättigt. Wachstum und Marktanteilsgewinne können im Trend nur auf Kosten der Konkurrenz erzielt werden. Nachhaltige und große Fortschritte bei der so wichtigen Rentabilität sind daher bei den Wackelkandidaten nicht zu erwarten. Aber trotzdem: Auch bei kleinen Fortschritten kommt Freude auf. Die europäische Automobilbranche kann sich auf 2014 freuen - die deutsche sowieso!

Wie beurteilen Sie dabei den Coup, dass Fiat Chrysler komplett schluckt?

Sergio Marchionne ist fraglos ein großer Finanzstratege: mit nur 1,9 Milliarden Dollar Fiat-Eigenmitteln ein Unternehmen mit etwa 12 Milliarden Dollar Barreserven zu übernehmen, ist schlichtweg genial. Nur zur Erinnerung: Daimler hat für Chrysler einmal 36 Milliarden Dollar gezahlt - ohne Gegenwert. Marchionne hat damit Fiat zunächst einmal finanziell gerettet und über Nacht mit vier Millionen Autos zum siebtgrößten Autokonzern der Welt gemacht. Er könnte mit seiner akribischen strategischen Denke ein Ziehsohn von Ferdinand Piech sein, er wartet ab und schlägt dann zu (lacht). (Das Thema Fiat/Chrysler ist Thema der nächsten Becker-Kolumne am 27.1.; Anm. d. Red.)

Wie sehen Sie das Ergebnis der jüngsten KPMG-Studie, das künftig nur noch wenige unabhängige Autokonzerne weltweit - genauer gesagt sechs - prognostiziert?

Zum einen ist sie wissenschaftlich nicht fundiert, weil es sich dabei um eine reine Befragung von Betroffenen handelt. Zum anderen ist sie vom Ergebnis her nicht neu. Die Anzahl von sechs Autokonzernen weltweit hat der damalige Fiat Chef Giovanni Agnelli bereits Ende der 1980er Jahre  prognostiziert. Das war damals so falsch wie heute! Heute, weil allein die neuen Wettbewerber aus Indien, China und Russland nicht berücksichtigt wurden. Die internen Untersuchungungen des IWK kommen zu anderen Ergebnissen.

Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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