Wirtschaft

Wie "Nordkorea minus Arbeitslager"? Ein Kapitän, sein Admiral - und VW

Knapp 100 Milliarden Euro Halbjahresumsatz, rund 600.000 Mitarbeiter, 12 Marken: Der VW-Konzern ist ein Automobil-Koloss, der zudem noch weiter wächst. Die Rendite bleibt dabei auf der Strecke. Die Führung hat das Problem erkannt. Kann sie es lösen?

Bei Volkswagen gibt es mehr Außenspiegel als Automodelle. Rund 350 Varianten sind verzeichnet - teilweise mit erstaunlichen Fähigkeiten: So sind die Exemplare beim kleinsten VW-Modell, dem Up, auf die Last einer schweren Limousine ausgelegt. Vor zehn Jahren hatte der Konzern 300 verschiedene Stoßfänger, inzwischen sind es 700 - bei 310 Automodellen. Der Perfektionismus ist weit ausgeprägt in dem Unternehmen, in dem sich Chef Martin Winterkorn auch um kleinste Details kümmert. Trotzdem droht in dem Riesenkonzern mit seinem rasanten Wachstum einiges aus dem Ruder zu laufen.

VW Vorzüge
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Nun schlägt Winterkorn Alarm: Wettbewerber wie Toyota machten es besser. Speziell die Rendite der Kernmarke VW-Pkw mit Bestsellern wie dem Golf steht unter Druck. Während die Kernmarke weiter schwächelt, retteten die Ertragsperlen Audi und Porsche mit 2,7 Milliarden und 1,4 Milliarden Euro einmal mehr den Konzerngewinn. Sie fuhren im ersten Halbjahr zusammen viermal so viel Überschuss ein wie VW-Pkw. Insgesamt stand ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) von 6,2 Milliarden Euro. Das waren zwar 400 Millionen mehr als vor einem Jahr - im zweiten Quartal ging der Wert aber um drei Prozent auf 3,3 Milliarden zurück. Weltweit stagnierten die Erlöse im ersten Halbjahr bei knapp 99 Milliarden Euro - und das, obwohl VW deutlich mehr Autos verkaufte als vor einem Jahr.

Die VW-Rendite muss steigen: Im ersten Halbjahr lag sie nur bei gut 2 Prozent. 2018 sollen es mindestens 6 Prozent sein. In einer Brandrede vor seinen Managern forderte Winterkorn jüngst die Wende, verordnete ein Fünf-Milliarden-Sparprogramm und schlankere Strukturen.

Ein Kapitän und sein Admiral

Wer den Aufruhr im Konzern verstehen will, braucht zwei Dinge: Einen Blick auf die Brücke und einen in den Maschinenraum. Da ist zunächst Winterkorn, Kapitän für das Zwölf-Marken-Reich mit fast 600.000 Mitarbeitern. Er sagt über Führung: "Wir haben das System so scharf gestellt, dass ein Problem binnen kürzester Zeit bei uns ankommt."

Über Kapitän Winterkorn steht noch ein Admiral: Der VW-Großaktionär, Ex-Konzernboss und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch. Über Führung sagt der VW-Patriarch: "Die Vorstellung einer höchstkarätigen inneren Mannschaft von fünf bis zehn Leuten, deren Zusammenspiel wiederum nur ein Einzelner im Detail lenkt, hat mich ein Leben lang nicht losgelassen. Es ist für mich das wichtigste Rezept geblieben, wie man tatsächlich Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb erzielen kann."

Zu diesem straffen Führungsprinzip bei Deutschlands größtem Konzern schrieb "Der Spiegel", das sei wie "Nordkorea minus Arbeitslager".

Von Perfektionismus und Normfetischismus

So viel zur Brücke des Riesentankers. Nun zum Maschinenraum: Dort planen Zehntausende Ingenieure nicht nur Design, Hubraum oder Farben. Ein normaler Ingenieur bei VW kümmert sich zum Beispiel um Aktenberge, mit denen er andere, externe Ingenieure bei Dienstleistungsfirmen koordiniert, die wiederum irgendein Teil am Radkasten vorne links planen. 

Oder den Geruch von Fußmatten: Die dürfen bei VW nämlich vom ersten Tag an nicht riechen. In Autos des Wettbewerbs ist das anders.

Da ist sowieso manchmal einiges anders. VW-Insider sagen, der Hang zum Perfektionismus drehe sich teils um einen Normfetischismus, den der Kunde nie zu Gesicht bekomme. Solange das tatsächlich die Qualität stützt - etwa die Haltbarkeit fördert oder Geräusche mindert - sei das ja okay. Doch wenn es längst zum Selbstzweck geworden ist?

Komplexität - es ist das Thema bei VW. Denn das Schlaraffenland der Außenspiegel- und Stoßfängerwelt bläht nicht nur die Entwicklung auf, sondern zieht Rattenschwänze bis zur Ersatzteilkette nach sich. Vor seinen Managern fragte Winterkorn "selbstkritisch": "Realisieren wir Manches eher, weil es machbar ist und begeistert? Und nicht so sehr, weil es sich gut verkauft oder uns beim Ergebnis voranbringt?"

Ein Insider sagt, der interne Wettbewerb zwischen den Marken - etwa Audi gegen Porsche oder Skoda gegen VW - sei zwar gut fürs Produkt. Aber nicht zwingend für die Rendite. So sei es für Synergien denkbar, markenübergreifende Sparten für vergleichbare Modelle zu schaffen.

"Katastrophe USA"

Beispiel USA, zweitgrößter Automarkt der Welt: Seit 15 Monaten schrumpft dort der VW-Absatz, weil passende Modelle für die dortigen Wünsche fehlen. Konzernbetriebsrat Bernd Osterloh geißelte die Lage Anfang des Jahres als "Katastrophenveranstaltung".

Als ein erstes Zeichen hat Winterkorn ein Entwicklungszentrum in den USA angekündigt - ein Schritt wider den Zentralismus. Osterloh begrüßt das. Zentralismus sei dort richtig, wo es etwa um Baukästen für die konzernweite Gleichteilestrategie gehe, sagt er. Also um technologische Steuerung.

Aber das mächtige VW-Aufsichtsratsmitglied sieht auch die gesamte Strukturdebatte auf der Agenda. "So wie die Nutzfahrzeuge eine eigene Sparte bilden müssen, um optimal arbeiten zu können, müssen wir auch andere Potenziale in Sparten bündeln."

Quelle: ntv.de, bad/dpa

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