Wirtschaft

Ökonom Straubhaar im Interview Demografischer Wandel? Prima.

Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter.

Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter.

(Foto: picture alliance / dpa)

Während viele das Schrumpfen und die Vergreisung der Bevölkerung in Deutschland fürchten, sieht der Ökonom Thomas Straubhaar keinen Grund zur Panik. In seinem Buch "Der Untergang ist abgesagt" stellt er düstere Zukunftsprognosen infrage. Mit n-tv.de sprach der Professor für Volkswirtschaftslehre über Mythen, Ängste, Chancen - und die Zuwanderung nach Deutschland.

n-tv.de: Die Bevölkerung in Deutschland wird zahlreichen Prognosen zufolge immer weiter schrumpfen und altern. Für viele klingt das nach düsteren Aussichten. Sie sehen das anders. Warum?

Thomas Straubhaar

Thomas Straubhaar

(Foto: privat)

Thomas Straubhaar: Es ist wenig hilfreich, sich von solchen verhaltensgetriebenen Entwicklungen ängstigen zu lassen. Es ist viel klüger, rechtzeitig auf diese Veränderungen zu reagieren und die Rahmenbedingungen anzupassen. Deutschland sollte Vorsorge treffen, dass sich auch bei einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung die Lebensbedingungen nicht verschlechtern, sondern verbessern.

Zumal Sie daran zweifeln, dass die Bevölkerung hierzulande unausweichlich schrumpft.

Ja. Ich mache ein großes Fragezeichen dahinter, ob die empirische Beobachtung wirklich zutreffend ist. Es kann sein, dass künftig weniger deutsche Kinder geboren werden. Es kann aber auch sein, dass sich das mittel- und längerfristig wieder ändert. Außerdem gibt es eine Zuwanderung nach Deutschland. Von daher gesehen ist die Angst vor dem demografischen Wandel das eigentliche Problem - und weniger die Folgen, die mit dem demografischen Wandel einhergehen.

Sie haben die Zuwanderung angesprochen. Derzeit erlebt Deutschland einen großen Flüchtlingszuzug. Wie wird der sich ökonomisch auswirken?

Zur Person

Thomas Straubhaar stammt aus der Schweiz, ist Professor für Volkswirtschaftslehre der Universität Hamburg und Direktor des Europa-Kollegs Hamburg sowie Fellow der Transatlantic Academy in Washington, D. C. Nach Studium und akademischen Stationen u. a. in Bern, Konstanz, Basel, Freiburg i. Br. und Hamburg war Straubhaar von 1999 bis 2014 Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA) und danach Leiter des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). Er arbeitet u. a. über internationale Wirtschaftsbeziehungen und Bevölkerungsökonomie.

Vergleichsweise schwach. Wir reden von einer Million oder mehr, von denen viele Deutschland auch wieder verlassen werden. Bei einer Bevölkerung von über 80 Millionen ist das ein gutes Prozent. Da kann weder im Guten noch im Schlechten ein großer Effekt entstehen. Deshalb warne ich davor, die Zuwanderung zu instrumentalisieren. Weder ist Zuwanderung die Ursache von strukturellen Problemen oder grundsätzlichen Problemen des Sozialstaats, noch ist Zuwanderung die Lösung für diese Probleme. Die Auswirkungen der Zuwanderung werden in beide Richtungen massiv überschätzt.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass es ökonomisch gesehen sogar gut sei, wenn die Bevölkerung zurückgehe. Können Sie das erläutern?

Dahinter steht eine einfache ökonomische Logik. Der so genannte Kapitalstock – also alles, was mit Maschinen, Industrieanlagen und Infrastruktur zu tun hat, die Straßen, die Krankenhäuser, die Schulen, die Parks – wird auf weniger Menschen zu verteilen sein. Pro Kopf steigt somit der Anteil dessen, was an Infrastruktur verfügbar ist. Trivial ausgedrückt: Wir haben mehr Platz, weniger Stau, mehr Breitbandkapazität, wenn weniger um den Zugang konkurrieren. Der Einzelne kann so leistungsfähiger werden. Damit würde der Rückgang der Bevölkerungszahl überkompensiert. Deutschland würde ein Land mit zwar weniger, dafür aber wohlhabenderen Menschen werden.

Das Buch "Der Untergang ist abgesagt" erscheint am 7. März in der Edition Körber-Stiftung, hat 208 Seiten und kostet 18 Euro.

Das Buch "Der Untergang ist abgesagt" erscheint am 7. März in der Edition Körber-Stiftung, hat 208 Seiten und kostet 18 Euro.

Aber wie soll eine schrumpfende und immer älter werdende Bevölkerung Sozialstaat und Renten finanzieren? Ihr Kollege Hans-Werner Sinn drückt es so aus: "In 15 Jahren wollen die Babyboomer Renten von Kindern, die sie nicht haben."

Da hat er völlig recht. Das ist eine empirische Beobachtung, die man nicht wiederlegen kann. Genau deshalb müssen wir die Lebensarbeitszeit verlängern. Das wäre in doppelter Hinsicht positiv: Weil es dann weniger Anspruchsberechtigte gibt, und mehr Senioren, die mit mehr als 65 Jahren noch in die Rentenkasse einzahlen. Außerdem müssen wir weg von einer über Arbeits- und Lohnnebenkosten finanzierten sozialen Sicherung. Stattdessen brauchen wir ein System einer steuerfinanzierten sozialen Sicherung. Damit kommt man in die Diskussion eines Grundeinkommens.

Die würde jetzt wohl zu weit führen. Über die Idee eines Grundeinkommens, das sie befürworten, würde ich gerne ein andermal ausführlich mit ihnen sprechen. Sie kritisieren in ihrem Buch, dass in Sachen demografischer Wandel die Automatisierung viel zu wenig berücksichtigt wird.

Das hat mich wirklich überrascht, wie selbst gute Makroökonomen die Folgen der Digitalisierung und Automatisierung unterschätzen – also die Effekte eines arbeitssparenden technologischen Fortschritts. Wenn der Lokführer ersetzt wird durch einen Automaten, oder wenn der Busfahrer überflüssig wird wegen selbstfahrender Autos, werden Leistungen statt von Menschen von Maschinen oder digitalen Signalen erbracht. Und das wiederum heißt, dass die Arbeitsproduktivität steigt und weniger Menschen benötigt werden, um in der Zukunft das Sozialprodukt von heute zu erwirtschaften. Deshalb sollten wir sogar in einem gewissen Maße den demografischen Wandel begrüßen und nicht verteufeln. Ökonomisch ausgedrückt: Weniger Menschen werden mit mehr Kapital mehr Wohlstand produzieren.

Deutschland wird voraussichtlich auch mit Zuwanderung weiter altern. Macht Ihnen das keine Sorgen? Schließlich verschiebt sich damit die politische Macht immer weiter zu älteren Menschen.

Doch, das macht mir große Sorgen. Die Alten werden die Jungen zahlenmäßig dominieren. Das kann ein Riesenproblem werden. Die Folgen konnten wir sehr schön sehen bei dem so genannten Rentenpaket, dass sich die ältere Generation zulasten der Jüngeren gegönnt hat.

Mit Thomas Straubhaar sprach Jan Gänger

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Quelle: ntv.de

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