Wirtschaft

"Dann wurde ich gierig" Börsensturz erschüttert Chinas Führung

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(Foto: AP)

Das Drama an der chinesischen Börse setzt sich fort. Die Kurse brechen kräftig ein. Viele Kleinanleger sind wütend. Und die Regierung hat ein großes Problem.

Die alleinerziehende vierfache Mutter Liu Hua hat sich an die Achterbahnfahrt chinesischer Aktienkurse gewöhnt. Am Dienstag ging es zum x-ten Mal steil bergab. Diesmal um über sechs Prozent, ein jäher Einbruch. Liu verkauft Stofftaschen, Schals und Kissenbezüge aus einem Straßenstand in einem Szeneviertel in Shanghai. Die älteste Tochter hilft nach der Schule bis spät abends mit aus.

Shanghai Composite
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Aktien waren die große Hoffnung der Mutter, einen Teil ihrer alltäglichen Sorgen loszuwerden. Zum ersten Mal in ihrem Leben hat sie ein paar Tausend Euro investiert, die sie normalerweise als Absicherung im Krankheitsfall eisern auf dem Sparkonto hütete. Eine Weile ging alles gut. Das Geld vermehrte sich. Längst aber hat sie einen großen Teil ihrer Gewinne wieder eingebüßt. "Da kann man nichts machen", sagt sie lächelnd.

Auch Niu Qiang ist einer von Millionen Erstanlegern. Er arbeitet in der Personalabteilung eines belgischen IT-Zulieferers. Er stieg in den Markt ein, wenige Wochen bevor der Leitindex auf einem Siebenjahreshoch von 5166 Punkten thronte. Am Dienstag purzelte der Index unter die Marke von 3750 Zähler. Nius Bilanz: über 40.000 Yuan Minus, fast sechstausend Euro. Der 30-Jährige trägt den Verlust mit Fassung. Ein paar Monatsgehälter Miese seien ärgerlich, aber das werfe ihn nicht aus der Bahn, versichert er. "Mir war von Anfang an klar, dass ich auch verlieren kann", sagt Niu. Nur dass alles so schnell ging, überraschte ihn. Davor hatte ihn niemand gewarnt. Im April stieg er in den Markt ein, schon zwei Monate später begann das Drama. Und es geht weiter.

Mitte Juni sah es noch so aus, als sei der Himmel die Grenze für chinesische Kurse. Der Shanghai Composite Index legte monatelang stärker zu als alle Börsen der Welt. Dann die Wende: Am schwarzen Montag verloren mehr als 2000 Aktien das Maximum von zehn Prozent. Panik brach aus. Unter Anlegern, aber vor allem in der Regierung. Es war der Moment, in dem die autoritäre Kommunistische Partei in den Krisenmodus schaltete und alle marktwirtschaftlichen Vorsätze über Bord warf. Sie setzte alle Hebel in Bewegung, um die Kurse zu stützen. Hundertmilliarden Dollar flossen an die Börse, um einen totalen Einbruch zu verhindern.

Peking will Kurse nach oben prügeln

Es steht viel auf dem Spiel. Ein Börsencrash gefährdet den fragilen Frieden im Land. In China geht es unter dem Strich immer nur um eines: den Machterhalt der Partei. Dazu benötigt Peking eine solide Wirtschaft. Eine starke Konjunktur mündet in mehr Zustimmung für die autoritäre Elite. Also trieb die Regierung die Börsenwerte viele Monate künstlich nach oben. Das öffnete die Schleuse für neues Kapital und linderte die Schuldenlast staatseigener Unternehmen. Sie lockte viele Neulinge, denen es an Erfahrung fehlte, um die Gefahren zu einzuschätzen. Viele von ihnen genossen zudem keine höhere Schulbildung, ergab eine Studie. Nicht alle Anleger reagieren so gelassen wie Mutter Liu oder der Angestellte Niu. Viele sind stinksauer.

Das Vertrauen der Bevölkerung ist erschüttert. Die Glaubwürdigkeit der Kommunistischen Partei ist in Gefahr. Ein Mann namens Liu, der am Straßenrand Fahrräder repariert, schimpft auf "die da oben". Vor wenigen Wochen saß er an gleicher Stelle und starrte bei der Arbeit mit fettverschmierten Fingern ständig auf seinen Laptop. Seine Aufmerksamkeit galt den Börsenkursen. Jetzt steht kein Laptop mehr auf dem Schemel. Auch Liu hat Geld verloren. Er sagt: "Erst wird uns versichert, dass es nichts Besseres gibt als Aktien. Und jetzt sagt uns niemand, was eigentlich los ist."

Niu Qiang verstand die Investition in ein Aktiendepot als smarten Schachzug, "um das Geld von der Straße aufzuheben." Das war schließlich der Trend der vergangenen Monate. Seine Familie, einige Freunde, sogar ungebildete Handwerker und Bedienungen in chinesischen Restaurants hatten schon Geld mit Aktien verdient. "Wenn die stockende Wirtschaft uns nicht mehr reich machen kann, dann eben die Börse", lautete das Gebot der Stunde. Es war höchste Zeit, den Anschluss nicht zu verlieren, fand Niu.

Die Partei lockte die Neulinge in den Markt, weil ihr Erspartes für den Börsenboom benötigt wurde. Banken warben für Aktien, Medien erzählten Erfolgsgeschichten. Die Regierung selbst schaffte den anlegerfreundlichen Rahmen. Der Rest war Mund-zu-Mund-Propaganda. Niu Qiang erinnert sich an einen Morgen im Büro, als die Putzfrau mit ihrem Erfolg an der Börse prahlte. "Dann wurde ich gierig", sagt er. Kinderleicht eröffnete er ein Depot bei einer staatlichen Bank, und überließ dem Mann seiner Schwester nicht nur das Passwort, sondern auch alle Kaufentscheidungen. "Der weiß, was er tut", sagt Niu. Der Schwager arbeitete früher für die Maklerfirma China Securities als Analyst. Heute sitzt er Vollzeit vor dem eigenen PC und versucht, das Familienvermögen mit den richtigen Aktien zu vermehren. Doch auch er sah den Absturz nicht kommen.

Peking will die den Index zurückpeitschen auf 4500 Punkte, glauben Analysten. Nur dann könnten Zahlungsausfälle von Investoren auf Pump und damit der Beginn einer möglichen Finanzkrise sicher vermieden werden. Doch die Kurse lassen sich nicht nach Belieben füttern. Kaum orientieren sie sich eine Weile nach oben, verbreitet sich neue Angst vor einer Blase, und Anleger ziehen in großen Mengen Kapital ab. Viele Kleinanleger haben ohnehin schon die Lust verloren am Spekulieren.

Quelle: ntv.de

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