Wirtschaft

Takata-Airbags als "Splitterbombe" "Autohersteller tragen eine Mitschuld"

Mindestens sechs Tote, mehr als hundert Verletzte - die Airbags des japanischen Zulieferers Takata sind mittlerweile berüchtigt.  Etwa 17 Millionen Fahrzeuge wurden in den USA seit 2013 bereits zurückgerufen. Nun verdoppelt sich die Zahl - mit der größten Rückrufaktion der US-Geschichte - nochmals. Wo liegen die Gründe? Müssen sich deutsche Autofahrer sorgen? n-tv.de Autoexperte Helmut Becker liefert die Antworten.

n-tv.de: Herr Becker, kommt der landesweite Rückruf zu spät?

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker: Nein. Der Rückruf ist vielmehr Ausdruck dessen, dass Takata Weltmarktführer bei Airbags ist. Der japanische Konzern hat in der Vergangenheit alle Autohersteller weltweit beliefert. Das Unternehmen reagierte zudem auf die ersten Massenrückrufe vor ein paar Jahren: Bei der jetzigen Aktion handelt es sich deshalb um Altfälle, die jetzt aufgerollt werden.

Sie sprechen es an, immer wieder gibt es neue Rückrufe. Wieso informiert Takata die Öffentlichkeit immer nur scheibchenweise?

Das mag unethisch sein, ist aber gängige Praxis bei Industrieunternehmen. Bei General Motors und den Problemen mit den Zündschlössern war das nicht anders. Es gibt natürlich auch Konzerne, die diesbezüglich einen anderen Weg gehen. Daimler und BMW sind hier etwa zu nennen.

Wo liegt eigentlich das Problem bei den Takata-Airbags?

Ich bin kein Techniker. Aber zwei Ursachen sind möglich: konstruktive Fehler oder Produktionsmängel. Ich denke, Letzteres ist der Fall. Dafür spricht, dass Takata nach den ersten Rückrufen, die vor allem in Mexiko produzierte Airbags betroffen haben, die Produktion unter anderem nach Sachsen verlagert hat. Takata greift damit auf deutsches Knowhow zurück - was aber auch teurer ist als die Herstellung in Mexiko. Den offensichtlichen Qualitätsmängeln in der Produktion wirkt man so aber entgegen.

Also ist das Airbag-Desaster schlicht und einfach ein Kostenproblem - ähnlich wie bei den GM-Zündschlössern?

Ja. Die Takata-Airbags werden bereits seit Jahrzehnten verbaut. Die Rückrufe gibt es aber erst seit ein paar Jahren. Offensichtlich hat man hier bedingt durch Kostensenkungen und andere Maßnahmen die Produktionsqualität so weit ausgedünnt, also auf Kante genäht, dass sich jetzt die Mängel häufen.

Inwieweit tragen die Autokonzerne eine Mitschuld - Stichwort Kostendruck?

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte: Takata-Vorstandsmitglied Hiroshi Shimizu in den USA.

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte: Takata-Vorstandsmitglied Hiroshi Shimizu in den USA.

(Foto: Reuters)

Natürlich tragen die Autohersteller eine Mitschuld. Sie sind bestrebt, ihre Margen zu erhöhen. Das funktioniert vor allem darüber, die Zulieferer jedes Jahr prozentual zu Kostensenkungen zu bewegen. Die Autokonzerne geben ihren Kostendruck größtenteils an die Zulieferer weiter. Die müssen dann sehen, wie sie ihrerseits die Produktivität steigern, um ihre eigenen Margen beibehalten zu können. Das kann dann auch mal auf Kosten der Qualität gehen.

Welche Autohersteller sind betroffen?

Alle!

Also auch deutsche …

Ja, BMW beispielsweise. Dabei handelt es sich bisher aber nur um in den USA hergestellte Modelle. Die haben bisher auf Takata-Airbags, produziert in Mexiko, zurückgegriffen. In Deutschland ist das aber nicht der Fall.

Die Rückrufe betrafen bisher immer den nordamerikanischen Automarkt. Toyota beorderte jüngst aber auch mehr als 150.000 Wagen in Europa in die Werkstätten. Müssen sich nun auch deutsche Autofahrer Sorgen machen?

Ganz klar und eindeutig: Nein! Zwar sind die jetzt bekannt werdenden Probleme Ausdruck des harten Wettbewerbs am Markt. Sprich, wenn man zu sehr auf Kante nährt, dann kann das passieren. Ein Massen-Phänomen ist das hierzulande aber nicht. Zum einen sind die Marktanteile der japanischen Konzerne in Deutschland gering. Zum anderen greifen sie bereits auf in Sachsen produzierte Airbags von Takata zurück. Die deutschen Premiumhersteller haben zudem einen Preisvorteil. Der Kunde ist bereit, mehr zu zahlen, und dieses Preisplus mündet dann auch in eine höhere Qualität.

Ist das Airbag-Desaster ein reines Takata- oder ein Branchenproblem?

Das ist ein Takata-Problem.

Wie groß sind überhaupt die Erfolgschancen des Rekord-Rückrufs? Wie lange wird er dauern?

Diese Aktion wird sicher Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern, denn es ist schlicht und einfach ein Kapazitätsproblem. Ich kann mir vorstellen, dass Takata andere Airbag-Hersteller mit einbeziehen und Fremdaufträge vergeben wird. Allein kann Takata das Ganze gar nicht stemmen.

Die Kosten dafür könnten in die Milliarden gehen. Ist Takatas Existenz bedroht?

Ich kenne die genaue Situation des Unternehmens nicht. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das Aus droht, schließlich ist der Konzern Weltmarktführer, jeder fünfte verbaute Airbag ist ein Takata. Ich kann mir daher vorstellen, dass das Unternehmen bestrebt ist, mit den Autoherstellern ein Gentlemen Agreement anzustreben, eine Art Kostenteilung. Wenn Takata vom Markt verschwindet, ist den Autobauern nämlich nicht geholfen.

Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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