Wirtschaft

Verschleppt und vertuscht? Abgas-Krise belastet ganze Autoindustrie

"Da kommt noch Einiges nach", sagte der Chef des Verkehrsausschusses im Bundestag, Martin Burkert.

"Da kommt noch Einiges nach", sagte der Chef des Verkehrsausschusses im Bundestag, Martin Burkert.

(Foto: picture alliance / dpa)

Neben VW haben zahlreiche andere Autobauer ein Abgasproblem. Auch der Verkehrsminister gerät zunehmend unter Beschuss. Auf Fiat kommen weitere Untersuchungen zu.

Der anstehende Rückruf Hunderttausender Dieselwagen wegen drastisch überhöhter Abgaswerte setzt die Autobauer und den Bundesverkehrsminister unter Druck. Die Unternehmen müssen sich für eine umfangreiche "Serviceaktion" rüsten, einzig BMW fiel bei monatelangen Prüfungen des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) nicht auf. Und die bisherige Kritik am Vorgehen von Verkehrsminister Alexander Dobrindt im Abgas-Skandal bei Volkswagen erhält neue Nahrung.

"Da kommt noch Einiges nach", sagte der Chef des Verkehrsausschusses im Bundestag, Martin Burkert, zu dem am Freitag von Dobrindt vorgelegten Bericht über Nachmessungen an über 50 Modellen mehrerer Autobauer. Er nehme an, dass der von der Opposition geforderte Untersuchungsausschuss zum Abgasdebakel bald beschlossen werde. "Zugleich kommt der Verkehrsminister nächsten Mittwoch in den Verkehrsausschuss, um über die aktuelle Situation zu berichten", so der SPD-Politiker.

Die KBA-Analysen hatten ergeben: Bei 22 von 53 getesteten Dieselwagen bestehen Zweifel, ob das Herunterregeln der Abgasreinigung bei niedrigeren Temperaturen wirklich nur mit dem Schutz von Motorbauteilen zu tun hat. Bei rund 630.000 Autos sollen die Hersteller daher nun die Technik nachbessern. Betroffen sind unter anderem Mercedes, Opel, Audi, Porsche und die leichten VW-Nutzfahrzeuge, aber auch ausländische Marken wie Fiat und Renault. Zwar steht bisher nur beim VW-Konzern, der am Freitag einen Rekordverlust infolge der Diesel-Krise meldete, der Einsatz einer Betrugs-Software zur Manipulation von Emissionstests fest.

Die gesamte Autobranche rutscht jedoch wegen der teils drastischen Abweichungen zwischen realen Testwerten und offiziellen Firmenangaben zum Schadstoffausstoß zusehends in eine Vertrauenskrise. "Es hat den Anschein, als sei die Tinte noch nicht trocken in den USA bei dem Vertrag mit VW über Entschädigungen - schon kommt eine Horde schwarzer Schafe daher", meinte Burkert. Am vorigen Donnerstag hatte ein US-Richter Eckpunkte einer Einigung mit Volkswagen verkündet.

"Klarheit und Transparenz"

Umweltverbände werfen dem vom CSU-Politiker Dobrindt geführten Verkehrsministerium und dem ihm unterstellten KBA seit längerem eine Mauschelei mit der Autoindustrie vor. Es gibt Forderungen, die Zuständigkeit für die Kfz-Zulassung auf das Umweltbundesamt (UBA) zu übertragen. Die EU-Kommission will nationale Aufseher ebenfalls stärker an die Kandare nehmen. "Um die Gesundheit der Menschen und die Umwelt zu schützen, muss klar gelten: Alle Autos halten die Grenzwerte ein, egal ob im Sommer oder im Winter, im Prüflabor oder auf der Straße", sagte UBA-Chefin Maria Krautzberger.

Aus Sicht der Opposition soll der Abgas-Untersuchungsausschuss prüfen, ob Analysen zugunsten der Autolobby verschleppt wurden. "Wenn sich der Verdacht erhärtet, dass Dobrindt das letzte halbe Jahr genutzt hat, um sich mit den Konzernen abzustimmen, haben wir ein richtiges Problem", sagte der Linke-Abgeordnete Herbert Behrens, der das Gremium leiten soll. Es gibt auch Kritik, dass der Minister den Rückruf als freiwillig statt verpflichtend ausgab. "Ich sehe eine große Gefahr für Arbeitsplätze, wenn mit der Vertuschung weitergemacht wird", warnte Behrens.

Der Autoverband VDA begrüßte den Bericht des Verkehrsministeriums: Es gebe nun "Klarheit und Transparenz" über die Schadstoffwerte. Der Chef des Naturschutzbundes Nabu, Leif Miller, sieht dagegen eine Mitschuld der Regierung an der Krise: "Weder wurden in Verkehr gebrachte Fahrzeuge ordnungsgemäß kontrolliert, noch ist die europäische Richtlinie umgesetzt, wonach Strafen für Hersteller im Falle von Verstößen festzulegen sind."

Peter Mock von der internationalen Forschungsorganisation ICCT, der den VW-Skandal mit ins Rollen gebracht hatte, sagte, im Schnitt hätten die Maximalwerte des ausgestoßenen Stickoxids im KBA-Test für alle Fahrzeuge betrachtet mehr als das Sechsfache des Grenzwerts von 80 Milligramm pro Kilometer betragen. "Diese Daten liegen nahe an unseren eigenen Untersuchungen von Euro-6-Dieseln auf der Straße." Die Deutsche Umwelthilfe bemängelte, es habe bis zur Veröffentlichung der KBA-Ergebnisse zu lange gedauert.

Der Verein hatte eigene Tests in Auftrag gegeben und eine Unterlassungsklage gegen Daimler wegen Verbrauchertäuschung vor dem Landgericht Stuttgart eingereicht. Der Stuttgarter Konzern wies die Vorwürfe zurück. Die Belegschaft zeigt sich indes besorgt darüber, dass US-Behörden von Daimler verlangen, das Zustandekommen von Abgaswerten intern zu untersuchen. "Natürlich führt das zu Verunsicherung in der Belegschaft", sagte Betriebsratschef Michael Brecht den "Stuttgarter Nachrichten". "Wir brauchen in allen aufgeworfenen Fragen maximale Transparenz."

Bei mehreren Dieselmotoren von Fiat geht die Untersuchungskommission des Bundesverkehrsministeriums zudem dem Verdacht nach, dass dort illegale Abschalteinrichtungen verwendet werden. Den Hinweis dafür hatte Bosch geliefert. Nach Informationen der "Bild am Sonntag" soll das Steuerungselement dafür sorgen, dass die Abgasreinigung nach 22 Minuten abgeschaltet wird - Abgastests dauern im Schnitt 20 Minuten. Der Ingenieur Georg Wachtmeister von der TU München - Mitglied der Untersuchungskommission - hielt nichts davon, den Verdacht gegen Fiat zum Anlass zu nehmen, Modelle anderer Hersteller mit Bosch-Steuerung daraufhin zu prüfen. "Das Thema Fiat ist noch so taufrisch, dass man da noch keine Schlussfolgerungen ziehen kann", sagte er.

Quelle: ntv.de, Von Jan-Henrik Petermann und Anne-Béatrice Clasmann, dpa

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