Wirtschaft

Verkehrte Welt? Wie der Etatstreit US-Bonds attraktiver macht

Der Washingtoner Countdown hat überraschende Effekte auf den Anleihenmarkt.

Der Washingtoner Countdown hat überraschende Effekte auf den Anleihenmarkt.

(Foto: AP)

Die USA stehen vor dem ersten Stillstand der öffentlichen Finanzen seit Mitte der 1990er Jahre - doch die Staatsanleihen bleiben bei den Anlegern beliebt. Es ist nicht das erste Mal, dass dieses Paradoxon auftaucht.

Die USA können vielleicht bald schon ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen - und dennoch stehen die Anleihen des Landes bei Anlegern hoch im Kurs. Dank der Bond-Käufe sinkt die Rendite der richtungsweisenden zehnjährigen Treasuries auf etwa 2,6 Prozent, nachdem sie Anfang September wegen der Spekulationen auf eine baldige Straffung der US-Geldpolitik zeitweise auf ein Zwei-Jahres-Hoch von 3,007 Prozent gestiegen war.

In den USA droht bis zu einer Million Staatsbediensteten zum 1. Oktober Zwangsurlaub ("government shutdown"), falls sich Demokraten und Republikaner im US-Kongress nicht bald auf einen provisorischen Haushalt einigen. Ein Kompromiss ist auch die Voraussetzung für die - aus Sicht von Börsianern wichtigere - Anhebung der gesetzlichen Schuldenobergrenze von 16,7 Billionen Dollar. Ohne diesen darf die Regierung der weltgrößten Volkswirtschaft ab Mitte Oktober keine neuen Kredite aufnehmen, um auslaufende Anleihen abzulösen und die laufenden Ausgaben zu finanzieren.

Bei Papieren, die vor dem 17. Oktober fällig werden - dem Tag einer möglichen US-Zahlungsunfähigkeit - sind die Renditen teilweise sogar negativ. Das bedeutet, dass Anleger sogar noch Geld dafür bezahlen müssen, um den USA Geld zu leihen. Dieses Phänomen war zum Höhepunkt der europäischen Schuldenkrise auch bei einigen Bundesanleihen zu beobachten.

"Es ist paradox, dass ein 'government shutdown' oder das Erreichen der Schuldenobergrenze gut für US-Anleihen ist", sagt Bill Cheney, Chef-Ökonom des Finanzdienstleister John Hancock. "Wir sehen offenbar eine 'Flucht in sichere Anlagen'." Andere Analysten urteilen ähnlich und sagen einen Rutsch der Rendite für zehnjährige T-Bonds unter die Marke von 2,5 Prozent voraus. Craig Dismuke, Chef-Stratege des Brokerhauses Vining Sparks, mahnt dagegen zur Vorsicht. "Wenn es eine 'Flucht in sichere Anlagen' gibt, ist sie nur vorübergehend."

Am Markt für Credit Default Swaps (CDS) ist die wachsende Nervosität sichtbar. So müssen Investoren nach Angaben des Datenanbieters Markit zur Absicherung eines zehn Millionen Dollar schweren Pakets von T-Bonds etwa 23.500 Dollar zahlen - fast doppelt so viel wie vor zwei Wochen.

Liquidität ist Trumpf

Der US-Anleihenmarkt ist mit einem Gesamtvolumen von 11,5 Billionen Dollar der größte der Welt. Zum Vergleich: Der Markt für Bundesanleihen - weltweit immerhin die Nummer vier - ist Reuters-Daten zufolge umgerechnet gerade einmal 1,55 Billionen Dollar groß. Die schiere Menge umlaufender Treasuries ermöglicht es Anlegern, auch große Mengen US-Bonds jederzeit zu einem fairen Preis kaufen und verkaufen. Diese Liquidität des Marktes ist vor allem in Krisenzeiten ein wichtiges Kriterium für Investoren, weil sie ihre Anlagen bei Bedarf schnell zu Geld machen wollen.

Die größten Gläubiger der USA sind asiatische Staaten, allen voran China und Japan. Deren Devisenreserven im Gesamtvolumen von fünf Billionen Dollar bestehen nach einer Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu 60 Prozent aus US-Anleihen und -Aktien. Die Zentralbanken Chinas oder Japans haben daher keine andere Wahl, als an diesen Wertanlagen festzuhalten. Denn eine Umschichtung im großen Stil würde einen Kurssturz auslösen und ihre Devisenreserven dahinschmelzen lassen.

Alles schon mal dagewesen

Der Streit um die Anhebung der Schuldenobergrenze bricht seit Jahren immer wieder auf. 2011 führte das Gezänk der Parlamentarier dazu, dass die Rating-Agentur Standard & Poor's (S&P) den USA die Top-Bonitätsnote "AAA" entzog. Damals stiegen die CDS kräftig an, während die Renditen zurückgingen.

Auch ein "government shutdown" ist kein neues Phänomen. Mitte der 1990er Jahre wurden schon einmal US-Staatsbedienstete in vorübergehenden Zwangsurlaub geschickt. Auch damals stiegen die Rentenkurse: Die Rendite der zehnjährigen T-Bonds fiel 1995 dennoch auf 5,76 von anfänglich 7,88 Prozent.

Schuldendienst um jeden Preis

Bislang gehen Börsianer davon aus, dass sich Demokraten und Republikaner am Ende doch noch auf die Anhebung der Schuldenobergrenze einigen. "Wir sind auf einen 'Fünf-Minuten-vor-Zwölf'-Deal gepolt, aber man darf es nicht als gesetzt ansehen", betont Eric Green, Chef-Analyst für Renten, Devisen und Rohstoffe bei der Investmentbank TD Securities.

Selbst bei einem Scheitern der Verhandlungen werden die USA nach Einschätzung von Analysten so lange wie möglich versuchen, ihre Schulden zu bedienen. Schließlich gelte es, das Ansehen der US-Anleihen als Geldanlage zu bewahren. Dafür werde die Regierung voraussichtlich andere Ausgaben kürzen.

Gelingt es den USA, ihre Rechnungen weiterhin zu zahlen, werden die US-Renditen bald wieder auf 2,8 Prozent steigen, prognostizieren Börsianer. Außerdem könnten sich Anleger dann wieder auf die Erholung der US-Konjunktur und die geplante Straffung der US-Geldpolitik konzentrieren. "Das ist wichtiger als all das hier", betont Hancock-Experte Cheney.

Quelle: ntv.de, rts

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