Wirtschaft

IW-Chef Hüther fordert Reformen "Sehe keinen Grund für Schuldenschnitt"

Alexis Tsipras ist der neue Ministerpräsident Griechenlands.

Alexis Tsipras ist der neue Ministerpräsident Griechenlands.

(Foto: AP)

Griechenland kann auch ohne neuerlichen Schuldenerlass wirtschaftlich gesunden, sagt IW-Chef Michael Hüther im Gespräch mit n-tv.de. Die Eurozone müsse sich von dem neuen griechischen Regierungschef nicht erpressen lassen - denn  ein Austritt sei für sein Land sehr viel problematischer. Mit dem Ökonomen sprach n-tv.de über den Sparkurs, Schulden und europäische Solidarität.

n-tv.de Alexis Tsipras ist neuer Regierungschef Griechenlands. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht für die Eurozone?

Michael Hüther: Bei dem Programm, das Tsipras verkündet hat und das er offensichtlich auch verfolgen will, ist er eine Herausforderung für die Eurozone. Wie sie damit umgehen wird, muss sich noch zeigen. Tsipras hat angekündigt, die bisherigen Zusagen nicht mehr zu erfüllen, zu der sich Athen im Gegenzug für die Hilfe verpflichtet hat. Auf der anderen Seite hat dort nun eine politische Kraft die Verantwortung, die mit dem alten System nicht viel zu tun hat. Insofern mag Tsipras zuhause durchaus ein Neuanfang sein.

Prof. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.

Prof. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.

Tsipras hat angekündigt, die "desaströse" Sparpolitik zu beenden. Macht es angesichts von jahrelanger Rezession und Rekordarbeitslosigkeit nicht tatsächlich Sinn, mehr auf Wachstum zu setzen als bisher?

Die gegenwärtige Korrektur ist schmerzhaft, das ist gar keine Frage. Das Problem in Griechenland ist aber viel größer als in allen anderen Krisenländern. Es geht dort nicht einfach nur um eine fiskalpolitische Krise und die Deregulierung in einigen Bereichen. Es geht um eine tiefsitzende Fehlsteuerung des politischen Systems und der öffentlichen Verwaltung. Griechenland ist beim Umsetzen von Reformen in diesen Bereichen bei weitem nicht so weit, wie es sein könnte. Hier liegt der Schlüssel, um in Verhandlungen einen Weg nach vorne zu finden. Man kann darüber sprechen, ob durch gezielte Investitionen kombiniert mit Verwaltungsreformen bessere Erfolge erzielt werden können.

Sollte die Troika dann auch die Sparauflagen lockern?

Das Entgegenkommen kann nur darin liegen, Investitionsmittel im Gegenzug zu Reformen bereitzustellen. Man kann doch nicht so tun, als hätte es die Europäische Union bisher an Solidarität fehlen lassen. Das Gegenteil ist richtig. Die Europäer haben eine Menge an Vorleistungen erbracht. Jetzt geht es darum, dass Griechenland die Zusagen erfüllt. Man muss dafür doch nicht zweimal bezahlen.

Tsipras argumentiert: Mit den Milliardenhilfen sind lediglich die griechischen Banken gerettet worden - die allermeisten Griechen hätten davon nichts. Im Gegenteil: Tiefe Rezession und Sparpolitik verlangen hohe persönliche Opfer.

Es ist natürlich so, dass die Bevölkerung die Anpassungslasten trägt - einige Schichten sehr viel stärker als andere. Zugleich geht es aber darum, dass das Land mittelfristig die Verschuldung in den Griff bekommt. Nur dann bekommt es wieder Zugang zum Kapitalmarkt. Weil Griechenland davon noch weit entfernt ist, führt an den Anpassungen kein Weg vorbei. Mit den Krediten wurde verhindert, dass die griechischen Banken in einer noch tiefere Funktionskrise geraten. Insofern kann man zwar vordergründig argumentieren, es ginge nur um eine Stützung von Banken. Im Kern geht es um die Sicherung von Infrastruktur.

Kann es in Griechenland ohne einen Schuldenschnitt überhaupt wieder aufwärts gehen?

Ich sehe überhaupt keinen Grund für einen Schuldenschnitt. Die griechische Schuldenlast ist im November 2012 bereits enorm reduziert worden. Das Land hat einen Durchschnittszinssatz von 2,4 Prozent auf die ausstehende Staatsschuld, in Deutschland liegt er bei 2,7 Prozent. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt betragen die Zinszahlungen Griechenlands etwa vier Prozent. Das ist tragbar. Ein Schuldenschnitt wird dazu führen, dass das Land auf Jahre hinaus vom Kapitalmarkt nicht mehr als Partner akzeptiert wird. Dieser Preis scheint mir gerade aus griechischer Sicht viel zu hoch.

Tsipras setzt darauf, dass die Eurozone Griechenland weiter unterstützt. Wie schätzen sie seine Verhandlungsposition ein?

Zu dem Konzept von Tsipras gehört es, Stärke vorzugeben und sich entsprechend zu positionieren. Am Ende ist er aber auf eine Zusammenarbeit mit Europa angewiesen, er wird nicht nur Forderungen stellen können. Tsipras muss anerkennen, dass Europa erhebliche Solidaritätsleistungen in den letzten Jahren erbracht hat. Er muss einen kooperativen Ansatz finden. Dass er sich Rechtspopulisten als Koalitionspartner ausgesucht hat, macht das für ihn nicht leichter.

Tsipras fordert eine Schuldenkonferenz und hofft auf Unterstützung beispielsweise aus Italien und Spanien.

Wenn diese Länder auch einen Schuldenerlass fordern würden, dann riskieren wir eine Spaltung der Eurozone. Es gibt bislang aber kein erkennbares Interesse der europäischen Partner, in eine solche Schuldenschnitt-Diskussion hineinzugehen. Was soll eine Schuldenkonferenz auch bringen? Die Zinsbedingungen für die anderen Länder sind so günstig wie nie seit Beginn der Krise. Damit können und müssen sie klarkommen.

Häufig wird gefordert, Griechenland solle die Eurozone verlassen. Dann könne es die Währung abwerten und so wettbewerbsfähig werden. Was halten Sie von diesem Argument?

Den Austritt mit dem Gewinn von Wettbewerbsfähigkeit zu begründen, ist nicht wirklich überzeugend. Die Folgen einer abrupten Abwertung wären dramatisch, was die Einkommensverluste in Griechenland angeht. Die Frage ist eher, ob aus Sicht der Eurozone der Austritt mit ins Kalkül gezogen wird.

Ist das so?

Ich denke, dass das so ist. Die Robustheit der anderen Länder hat zugenommen, die europäischen Institutionen sind weiterentwickelt. Vor diesem Hintergrund muss man sich hier nicht erpressen lassen. Der Austritt ist für Griechenland das entscheidende Problem, weniger für die Eurozone.

Wäre es angesichts der Risiken dennoch nicht besser, zu versuchen, Griechenland möglichst in der Eurozone zu halten?

Mit der Strategie hat man vor drei, vier Jahren begonnen. Das war damals richtig, weil man weder die krisenpolitischen Instrumente in der Eurozone hatte, noch verhindern konnte, dass von einem Austritt andere Mitgliedsländer angesteckt werden könnten. Das hat sich verändert. Eine Währungsunion ist zwar eine Solidargemeinschaft, doch das setzt immer ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft voraus. Wenn die schwindet, muss man über andere Perspektiven reden.

Mit Michael Hüther sprach Jan Gänger

Quelle: ntv.de

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