Panorama

Chaos nach Erdbeben in Haiti Regierung befürchtet über 100.000 Tote

Haitis Regierungschef Bellerive rechnet mit mehr als 100.000 Toten nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti. Die Lage in dem ohnehin bitterarmen Land ist katastrophal - Leichen liegen auf den Straßen und die Helfer kommen kaum durch. Viele der rund drei Millionen betroffenen Menschen sind vorerst auf sich allein gestellt. Die medizinische Versorgung ist weitestgehend zusammengebrochen, weil fast alle Krankenhäuser zerstört sind.

Wie viele Opfer das Beben gefordert hat, ist noch nicht abzusehen.

Wie viele Opfer das Beben gefordert hat, ist noch nicht abzusehen.

(Foto: REUTERS)

Bei dem schweren Erdbeben im bitterarmen Karibikstaat Haiti sind vermutlich zehntausende Menschen ums Leben gekommen – die Regierung befürchtet mehr als 100.000 Tote. Krankenhäuser, Schulen, Regierungsgebäude, der Präsidentenpalast und zahlreiche Wohnhäuser stürzten ein, in den Trümmern graben Überlebende mit bloßen Händen nach Verschütteten. International lief ein massiver Hilfseinsatz an, zahlreiche Länder entsenden Such- und Bergungsteams.

Auch der Palast wurde schwer beschädigt.

Auch der Palast wurde schwer beschädigt.

(Foto: AP)

Die Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince waren am Morgen nach dem Beben von Dienstag mit Leichen übersät, blutüberströmte Verletzte rannten schreiend durch die Straßen. Haitis Regierungschef Jean-Max Bellerive sagte gegenüber CNN, die Zahl der Toten könne "deutlich über 100.000" liegen. "Ich hoffe, dass das nicht wahr ist." Es seien jedoch "so viele Gebäude, so viele Gegenden völlig zerstört" worden, dass er mit der hohen Zahl von Opfern rechne.

Das Erdbeben der Stärke 7,0 erschütterte den Inselstaat am Dienstag um 16.53 Uhr Ortszeit (22.53 Uhr MEZ), das Epizentrum lag nur 15 Kilometer von Port-au-Prince entfernt. Mehr als 30 Nachbeben lösten immer wieder Panik unter den Menschen aus. Vor allem die Elendsviertel an den Berghängen von Port-au-Prince seien zerstört worden, berichtete die deutsche Diakonie Katastrophenhilfe. Die Hänge seien großflächig abgerutscht, über der Stadt liege eine gewaltige Staubwolke. Aus Angst vor Nachbeben verbrachten etliche Menschen die Nacht im Freien.

UN-Missionschef unter Opfern

Eine Sprecherin der UNO nannte die Hilfsanstrengungen einen "Wettlauf mit der Zeit". Schuttberge, die zusammengebrochene Strom- und Wasserversorgung und ein defektes Telefonnetz erschweren die Arbeiten. Die UNO mobilisierte 37 Such- und Spürtrupps, die sich so schnell wie möglich auf den Weg machen sollten.

"Die Informationen über das volle Ausmaß der Schäden sind noch sehr dürftig", sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York. "Wir haben es mit einer großen humanitären Notsituation zu tun, die einen umfassenden Hilfseinsatz erfordert." Im UN-Hauptquartier wurden nach Angaben des Generalsekretärs mindestens fünf UN-Mitarbeiter getötet, rund 200 weitere werden vermisst. Auch Missionschef Hedi Annabi, ein Tunesier, ist unter den Toten. Präsident René Préval übermittle den Vereinten Nationen und allen Opfern des Erdbebens in Haiti sein Beileid. Nach Angaben aus Brasilien, China und Jordanien kamen mindestens 15 UN-Blauhelme um. Die UN hat derzeit etwa 7000 Soldaten und 2000 Polizisten vor allem aus südamerikanischen Ländern in Haiti im Einsatz.

Drei Millionen Menschen betroffen

Präsident Préval berichtete, er habe über Leichen steigen müssen und Schreie von Menschen gehört, die unter Trümmern begraben seien. In einem Interview des "Miami Herald" erklärte er: "Das Parlament ist zusammengestürzt. Die Steuerbehörde ist zusammengestürzt. Schulen sind zusammengestürzt. Krankenhäuser sind zusammengestürzt. Es gibt eine Menge von Schulen mit einer Menge von Toten in ihnen." Alle Hospitäler seien voller Menschen: "Es ist eine Katastrophe." Das Rote Kreuz schätzte die Zahl der Betroffenen auf drei Millionen Menschen.

(Foto: AP)

Eine Augenzeugin berichtete: "Ich war gerade in der Stadt, es ist eine Apokalypse." Rund 40 Prozent der Häuser in der Hauptstadt seien zerstört oder beschädigt. Der Lokalsender Radio Métropole listete auf seiner Website der schwer beschädigten Gebäude unter anderen das UN-Hauptquartier, die Kathedrale der Stadt, den Präsidentenpalast, diverse Hotels sowie Ministerien und Marktgebäude auf. Das Hotel Montana in der Hauptstadt stürzte völlig ein und begrub nach Angaben des französischen Entwicklungsstaatssekretärs rund 200 Menschen unter sich.

Die Kommunikation in dem Karibikstaat sei praktisch völlig zusammengebrochen, die Infrastruktur in und um die Hauptstadt Port-au-Prince schwer beschädigt, sagte Generalsekretär Ban Ki Moon am Mittwoch in New York. Die Koordinierung der unmittelbar nach dem Beben weltweit angelaufenen Hilfsmaßnahmen gestalte sich daher schwierig. "Energie- und Wasserversorgung sind völlig zusammengebrochen, viele Gebäude sind eingestürzt. Die Retter waren die ganze Nacht im Einsatz, aber wir müssen davon ausgehen, dass immer noch viele Menschen eingeschlossen sind", erklärte er.

Medizinische Hilfe ausgefallen

Ein verletztes Kind in Port-au-Prince.

Ein verletztes Kind in Port-au-Prince.

(Foto: REUTERS)

Auf Hilfe der eigenen Behörden können die Menschen nach Angaben einer Sprecherin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) nicht hoffen. "Es gibt keine medizinische Versorgung für die Bevölkerung und die wird es jetzt natürlich auch nicht geben", sagte Svenja Koch. In der Hauptstadt Port-au-Prince kann nur noch ein argentinisches Behelfskrankenhaus Verletzte behandeln. "Alle anderen Krankenhäuser sind zusammengestürzt", sagte der Leiter des argentinischen Hospitals für die UN-Friedensmission, Daniel Desimone, dem argentinischen Fernsehsender TN.

Erst langsam wird das ganze Ausmaß der Zerstörung deutlich.

Erst langsam wird das ganze Ausmaß der Zerstörung deutlich.

(Foto: AP)

"Haiti gehört zu den ärmsten Ländern der Erde", sagte DRK-Sprecherin Koch bei n-tv. "Das heißt, es gibt keine Straßen, über die man Hilfstransporte bringen kann. Es gibt nur wenige Flughäfen und die Leute sind bitterarm. Aus eigener Kraft können die wenig machen." Die Hilfsorganisationen rufen zu Spenden auf. Wie auch die Hilfsorganisation "Unsere kleinen Brüder und Schwestern", deren ehemaliges Krankenhaus, das seit drei Jahren als Behinderteneinrichtung genutzt wird, ebenfalls eingestürzt sei. Mitarbeiter berichteten von Hilferufen unter den Trümmern. Außerdem wurden auch weitere Gebäude eines Kinderdorfes der Organisation durch das Beben beschädigt.

Bitterarmer Staat

Zuletzt war Haiti - das ärmste Land des gesamten Kontinents - am 7. Mai 1842 von einem ähnlich folgenschweren Beben heimgesucht worden. "Es fühlte sich an, als ob ein großer Lastwagen durch die Hauswand gekracht wäre. Dann hat es etwa 35 Sekunden lang gewackelt", schilderte Frank Williams, Landesdirektor der Hilfsorganisation World Vision Haiti. Menschen seien schreiend auf die Straße gelaufen.

Haiti ist eines der ärmsten Länder der Welt und wurde in den vergangenen Jahren mehrfach von Naturkatastrophen heimgesucht. Das Land liegt im kleineren westlichen Teil der zu den Großen Antillen gehörenden Karibik-Insel Hispaniola. Im Osten liegt die Dominikanische Republik. In dem rund neun Millionen Einwohner zählenden Land sind seit 2004 UN-Friedenstruppen in Einsatz. Die Ränder der tektonischen Platten in dem Bereich hätten sich auf einen Schlag rund ein bis zwei Meter verschoben, sagte Jochen Zschau vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam. Das Beben habe zudem in geringer Tiefe stattgefunden.

Eine Verletzte in Haitis Hauptstadt.

Eine Verletzte in Haitis Hauptstadt.

(Foto: AP)

Zahlreiche Staaten und Organisationen kündigten umgehend Nothilfe an. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dem Land umfangreiche Hilfe zugesagt. "Deutschland wird, wo immer es kann, den Menschen in Haiti beistehen", sagte Merkel. Die Kanzlerin zeigte sich betroffen und schockiert über das Ausmaß der Schäden in dem mittelamerikanischen Land und versicherte den Haitianern die Solidarität der Bundesregierung.

Hilfe läuft an

Über deutsche Opfer ist bislang nichts bekannt. Pauschaltourismus gibt es in Haiti nicht. "In Anbetracht des Ausmaßes der Katastrophe kann ich leider nicht ausschließen, dass auch deutsche Staatsbürger von dieser Erdbeben-Katastrophe betroffen sind", sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Er habe einen Krisenstab einberufen, der eng mit der deutschen Botschaft in Haiti zusammenarbeite, um die Frage nach deutschen Opfern zu klären.

Deutschland hat Haiti bereits 1,5 Millionen Euro Soforthilfe zugesagt. Die EU will dem Land mit drei Millionen Euro unter die Arme greifen. Der neue EU-Ratspräsident Herman van Rompuy, der zu einem Treffen mit Merkel nach Berlin gekommen war, sagte Haiti ebenfalls seine Unterstützung zu. Die USA schickten einen Flugzeugträger, Flugzeuge und Hubschrauber. Der Flughafen von Port-au-Prince ist zwar beschädigt, kann nach Angaben der Regierung aber für Hilfsflüge genutzt werden.

In Washington erklärte US-Präsident Barack Obama, die USA ständen bereit, um Hilfe zu leisten. Die US-Regierung verfolge die Situation genau und stehe bereit, "dem Volk von Haiti zu helfen". Noch am Abend schickten die USA erste Rettungsmannschaften mit Spürhunden los. Auch sollten umgehend 48 Tonnen Hilfsmaterial in den Karibikstaat gebracht werden.

Quelle: ntv.de, tis/dpa/AFP

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