Wirtschaft

Die nächste Krise? Kanada erlebt Subprime-Moment

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(Foto: REUTERS)

Seit Jahren betonen Experten wie solide der kanadische Banken- und Immobiliensektor sei. Nun zeigen sich aber plötzlich Risse. Kann die Situation eskalieren?

Die Nachrichten von einem kleinen Immobilienfinanzierer Kanadas hält die gesamte Branche des Landes im Atem: So hatte die Home Capital Group (HCG) Ende April bekannt gegeben, dass sie einen Notkredit von zwei Mrd. kanadischen Dollar (1,3 Milliarden Euro) mit einem Zinssatz von mehr als 20 Prozent aufgenommen habe, woraufhin die Aktie kollabiert war. Inzwischen ist die Hälfte des Kredits bereits aufgebraucht, weshalb das Institut händeringend nach neuen Liquiditätsquellen sucht. Es hat sich auf Hypothekenkredite für Kunden mit schlechter Bonität spezialisiert, die bei anderen Banken keinen Kredit bekommen.

Derartige Darlehen werden in den USA Subprime-Kredite genannt. Zuletzt war das kanadische Institut in den Fokus der Wertpapieraufsicht gerückt, die HCG vorwirft, Investoren getäuscht und gegen das Wertpapierrecht verstoßen zu haben. Die Geschichte reicht zurück bis zum Jahr 2014, als 45 externe Makler die Einkommensbescheide von potenziellen Kreditnehmern gefälscht hatten. Nachdem HCG die Verbindungen zu den Maklern gekappt hatte, war das Neugeschäft geschrumpft. Da werden Erinnerungen wach: Die Subprime-Krise in den USA hatte im Frühjahr 2007 begonnen, als die Firma New Century Financial Pleite gegangen war. Danach kam die Finanzkrise.

Nach Bekanntwerden der Nachrichten von HCG war es zuletzt auf einen Bankansturm auf HCG gekommen. So hatten Kunden innerhalb weniger Wochen mehr als zwei Milliarden kanadische Dollar an hochverzinslichen Spareinlagen abgezogen, woraufhin der Wert auf nur mehr rund 400 Millionen eingebrochen ist. Das Institut verfügt zwar noch über 12,8 Mrd. Dollar an Termineinlagen. Wenn diese Einlagen mit einer Laufzeit von 30 oder 60 Tagen aber fällig werden, dürften die Gläubiger das Geld ebenfalls rapide abheben. Umso verzweifelter versucht das Management die Firma zu verkaufen, allerdings werden die Interessenten angesichts der möglichen hohen Risiken in den Büchern von HCG wohl weiter ausbleiben. Vielmehr dürften potenzielle Käufer warten, bis es zu einer möglichen Insolvenz der Firma kommt und dann versuchen, den rentablen Anteil der Immobilienkredite zu erwerben.

Blase am Immobilienmarkt?

Könnte die Krise bei HCG den gesamten Banken- und damit den Immobiliensektor Kanadas infizieren? HCG hat zwar einen landesweiten Marktanteil von nur einem Prozent. Das Problem ist aber, dass die Vorgänge bei HCG dazu führen könnten, dass die Kunden bei anderen kanadischen "Subprime"-Instituten ebenfalls ihre Einlagen abziehen, womit sich die Krise im gesamten Bankensektor ausbreiten könnte. Immerhin macht dieser Bereich inzwischen 13 Prozent des Hypothekenmarktes aus. So hat zuletzt der Wettbewerber Equitable Group gemeldet, dass es zu einem verstärkten Rückgang der Kundeneinlagen gekommen sei, woraufhin die Bank ihre Kreditlinie von zwei Milliarden kanadischen Dollar bei einem Bankenkonsortium in Anspruch genommen habe. Daher waren zuletzt die Aktien der Equitable Group und anderer Konkurrenten, wie Street Capital Group und First National Financial Corp. kräftig unter Druck.

Damit nimmt die Gefahr für den Immobiliensektor allmählich zu, was vor allem an den niedrigen Leitzinsen von lediglich 0,5 Prozent liegt. Besonders gigantisch ist die Immobilienbewertung in den Metropolen Toronto und Vancouver. So waren die durchschnittlichen Häuserpreise in Toronto zuletzt um 33,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 916.567 kanadische Dollar (611.000 Euro) nach oben geschossen. "Der Häusermarkt in Toronto und den zahlreichen Städten drum herum befindet sich in einer Immobilienblase", sagt daher Doug Porter, Chefvolkswirt der Bank of Montreal.

Enorme Risiken für die kanadische Wirtschaft

Ein Platzen der Immobilienblase hätte verheerende Folgen für die kanadische Wirtschaft, ist sie doch enorm abhängig vom Immobilienmarkt, beispielsweise über den Finanzsektor, die Versicherungsbranche, sowie Rechtsanwälte und Notare. Besonders Besorgniserregend ist, dass die Schulden der privaten Haushalte zuletzt auf knapp 170 Prozent des verfügbaren Jahreseinkommens gestiegen sind. Das ist ein Negativrekord und liegt damit meilenweit über dem vergleichbaren Spitzenwert für die USA, der 2007 bei rund 125 Prozent gelegen hatte, zuletzt allerdings auf rund 100 Prozent gesunken ist.

Trotz der niedrigen Zinsen wenden kanadische Haushalte derzeit herbe 14 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Bedienung der Kredite auf, also für Zins und Tilgung, während der Wert für die USA derzeit bei "nur" zehn Prozent liegt. Daher sah sich der kanadische Finanzminister Bill Morneau zuletzt gezwungen, sich zur Lage bei HCG zu äußern. "Was ich gesehen habe bestätigt, dass das System funktioniert, wie es sollte, wobei Institutionen, die vor Herausforderungen stehen, marktbasierte Lösungen finden." Entgegen Morneaus Beteuerungen gibt es bislang aber keine Lösung, weder für HCG, noch für den Rest des Sektors. Vielmehr könnten die Probleme in den nächsten Monaten deutlich zunehmen, wenn der Ansturm auf HCG anhalten und sich möglicherweise auf andere Institute ausweiten sollte.

Die Lage in dem Banken- und Immobiliensektor Kanadas könnte sich deshalb in den nächsten Monaten noch zuspitzen. Dann wird möglicherweise der Staat und damit der Steuerzahler gezwungen sein, den Immobilienmarkt und damit viele Banken zu retten, die bei einem Platzen der Blase in existenzielle Schwierigkeiten kommen würden. In dem Umfeld sind die Perspektiven für den Aktienmarkt nicht gerade gut, zumal der marktbreite S&P/TSX Composite Index mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 17,2 schon hoch bewertet ist. Dabei machen Finanzwerte hohe 34 Prozent des Indexgewichts aus. Ebenso viel Gewicht vereinen Öl- und Bergbauaktien aufeinander, allerdings hatten sich deren Perspektiven zuletzt ebenfalls eingetrübt.

Quelle: ntv.de

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