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NRW-Wahl setzt Merkel unter Druck Die einsame Kanzlerin

Ob sie in der Ferne wohl noch einen Ausweg sieht?

Ob sie in der Ferne wohl noch einen Ausweg sieht?

(Foto: picture alliance / dpa)

Wenn Norbert Röttgen am Montag seine Sachen packt, um wieder nach Berlin zu fahren, wird ihm vieles noch einmal durch den Kopf gehen: Er wird an diesen verflixten Wahlkampf denken und an die Currywurst-Plakate der SPD. Doch eines muss man dem Bundesumweltminister lassen: Die Wahl war wirklich eine Abstimmung über die Politik von Angela Merkel.

Manchmal reichen 24 Stunden zur Vernunft. Es ist Dienstag, der 8. Mai, Wahlkampfendspurt: Röttgen steht in Umfragen bei 31 Prozent und sieht seine Felle davon schwimmen. Also erklärt der CDU-Kandidat, er wolle die Wahl zwischen Rhein und Ruhr auch zu einer Abstimmung über den Euro-Kurs und die Politik der Kanzlerin machen. Schon tags darauf rudert Röttgen zurück. Nein, in NRW stehe wohl nicht der Kurs von Merkel zur Abstimmung, sagt er der "Welt". Eine Szene, die bezeichnend ist. Für die Röttgen-Kandidatur in NRW, aber auch für das System Merkel. Noch am selben Tag betont die: "Die Wahl ist eine wichtige Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, nicht mehr und nicht weniger."

Kronprinz Röttgen betritt die Bühne vor seinem Rücktritt als Landesvorsitzender.

Kronprinz Röttgen betritt die Bühne vor seinem Rücktritt als Landesvorsitzender.

(Foto: picture alliance / dpa)

Merkel weiß, wieso sie die Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland herunterspielt. Auch ihre Felle schwimmen davon. Seit 2009 haben schwarz-gelbe Regierungen in Baden-Württemberg, Hamburg, NRW und zuletzt auch in Schleswig-Holstein ihre Mehrheiten verloren. Doch die jüngste Schlappe in NRW ist die unangenehmste. Die CDU schickte nicht irgendwen, sondern mit Röttgen einen prominenten bundespolitischen Kandidaten ins Rennen. "Muttis Klügster" gilt als potenzieller Merkel-Nachfolger. Aber er erhielt mit 26 Prozent das mit Abstand schlechteste CDU-Ergebnis in NRW. So viele Missgeschicke Röttgens Wahlkampf auch pflasterten, so ein Votum gilt auch der Bundeskanzlerin.

Das verwundert nicht. Welches Bild gab die Bundesregierung zuletzt ab? Mit welchen Erfolgen punktet sie? CDU und FDP bleiben noch den Beweis schuldig, warum sich beide seit 1998 eine Wiederauflage von Schwarz-Gelb so zurückgesehnt hatten. Egal ob Betreuungsgeld, Pendlerpauschale oder der Einigung auf einen Bundespräsidenten – der Regierungsalltag gleicht einem Eiertanz. Ringen sich die Koalitionspartner dann doch einmal durch, haben sie ein anderes Problem – den rot-grün dominierten Bundesrat. Der kippte zuletzt zahlreiche Vorhaben der Regierung, wie zum Beispiel die geplanten Steuersenkungen und die von Röttgen initiierte Kappung der Solarförderung.

Das Wahlergebnis strotzt deshalb vor Symbolik. Wie so häufig bei den letzten Landtagswahlen verliert das bürgerliche Lager. Im vergangenen Jahr traf es die FDP besonders stark. Die Union konnte ihre Verluste durch Zugewinne von der FDP wenigstens leicht abfedern. Doch dieser Trend scheint sich zu drehen. In Schleswig-Holstein und NRW war die CDU der Wahlverlierer. Die Liberalen scheinen die Talsohle durchschritten zu haben und berappeln sich auf Kosten der CDU. Mit Figuren wie Christian Lindner und Wolfgang Kubicki kann die totgesagte Partei auch im Jahr 2012 noch locker in Regionen von knapp zehn Prozent vorstoßen. Das dürfte der Kanzlerin nicht gefallen.

Macht Merkel den Schröder?

Stören dürfte sie noch etwas anderes: Rot-Grün bäumt sich rechtzeitig zur Bundestagswahl wieder auf. SPD und Grüne stellen vier Landesregierungen. Damit ist das politisch beerdigte Projekt längst wieder auf Augenhöhe mit Schwarz-Gelb. Im kommenden Jahr könnten noch zwei weitere Länder kippen, die von CDU und FDP geführt werden. Denn in Niedersachsen und Hessen sehen Meinungsforscher derzeit Rot-Grün vorn. Wenn die Bastion Niedersachsen mit seinen einflussreichen sechs Bundesratsstimmen im Januar fällt, ist die Regierung Merkel politisch am Ende. Gerhard Schröder leitete 2005 in einer ähnlichen Situation vorgezogene Neuwahlen ein.

Die Mehrheitsbildung ist schwieriger geworden in dem durch die Linken zunächst auf fünf und durch die Piraten inzwischen sogar auf sechs Parteien gewachsenen Parteiensystem. SPD und Grüne haben sich bereits etwas geöffnet. Sie wagten die Minderheitsregierung in NRW und signalisierten auch schon, mit den Piraten zusammenzuarbeiten. Notfalls steht auch die Linke bereit. Die CDU experimentierte, aber die Versuche mit den Grünen in Hamburg und im Saarland scheiterten. Merkel hat also nur die FDP. Das reicht nicht zum Regieren.

Und auch die FDP muss ihren Platz im neuen Parteiensystem noch finden. Die Liberalen schlingern derzeit in ungewissem Fahrwasser. Es ist unklar, wer die Partei in den Bundestagswahlkampf führt. Der zukünftige neue Kurs, egal ob unter einem Vorsitzenden Lindner oder Brüderle, birgt viel Ungewissheit. Doch auch die FDP muss ihre Machtoptionen erweitern. Sogar die Öffnung hin zu einer Ampel scheint denkbar. Es wäre noch eine Koalitionsoption mehr für SPD und Grüne.

Die Kanzlerin hat einen großen Trumpf. Mit ihrer Popularität kann ihr derzeit kein möglicher Kanzlerkandidat das Wasser reichen. Egal ob Gabriel, Steinbrück oder Steinmeier. Aber vielleicht nutzt ihr das am Ende überhaupt nicht. Es reicht nicht stärkste Partei zu werden, wenn die Optionen zum Regieren fehlen. Merkel hat ein Jahr vor der Bundestagswahl offensichtlich nur noch die Große Koalition. In dieser zwang sie die SPD zwischen 2005 und 2009 in die Krise. Die Sozialdemokraten erreichten vor drei Jahren ihr schlechtestes Wahlergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik. Entsprechend unbeliebt ist die Konstellation bei den Sozialdemokraten. Deren große Vorteil ist: Sie können zwischen mehrere Koalitionsoptionen wählen. Die Kanzlerin hat ihr Schicksal jetzt schon nicht mehr in der eigenen Hand.

Quelle: ntv.de

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